Von Heinz Grill
In der Welt ist jener der beste Nutznießer, der ohne Konsequenzen lügenhafte Aussagen tätigt und sich geschickt auf kollektive allgemeine Wortformeln stützen kann. In Projekten, spirituellen Schulen und Einrichtungen mit alternativen Zielen schwindeln sich Personen häufig durch und weichen einer soliden Verantwortung aus. Zu Lebzeiten können durch mangelnde Verpflichtung vielleicht manche Vorteile erhofft werden, aber wirklich nur erhofft, denn das Leben wird auch bereits im Irdischen durch fehlende Verantwortung ärmer. Im nachtodlichen Dasein gibt es jedenfalls keine Stimme, die man zur Ausrede vor notwendiger Verpflichtung nützen könnte. Der Mensch wird einmal das werden, was er wirklich ist und er wird nicht dasjenige sein, was er durch Schwindeleien an Lebensenergien erworben hat.
Im Geiste sollte Freiheit herrschen, im Wirtschaften Brüderlichkeit und im Rechtssystem Gleichheit. Wie aber verhält es sich wirklich mit der Vorstellung über die Freiheit im Geiste?
Es ist heute sehr wichtig, dass man sich von Glaubenssystemen frei macht, denn in der Wahl des Geistes muss dem Menschen eine vollkommene Freiheit zugestanden werden. Eine Kirche oder ein Meister kann den Menschen nicht für sich beanspruchen und ihm die Freiheit nehmen. Verführerisch kann jedoch diese Freiheit in dem gegenwärtigen Zeitgeschehen werden, wenn man sie als soziale Unverbindlichkeit, alternative Besserwisserei, egozentrische Besonderheit oder allgemein als Flucht vor Verantwortung wählt.
Im weltlichen Dasein herrscht nur Wahlfreiheit, im geistigen, nachtodlichen und übergeordneten Dasein existiert die Tugend der Verpflichtung und der vollständigen Verantwortung. Zum Streben nach Wahrheit ist der Mensch verpflichtet und jenen Erkenntnissen, die er erworben hat, muss er für seine eigene Selbsttreue gerecht werden. Wie und in welcher Glaubensform er dieses tätigt, ist ihm frei überlassen. Wenn spirituelle Formen zu Egozentrik, Einschnürung, Enge, Weltabkehr oder stärkerer Weltverhaftung als Gegenbild führen, entfremden sie sich aus dem Urgrund der Wahrheit.
Dieses kleine Gedicht ist Michael Birnthaler zu seinem Geburtstag am 3. September gewidmet:
Verpflichtung führt zu Freiheit
In der Welt bin ich scheinbar ganz frei
für Arbeit, Spiel und allerlei.
Im geistigen Reiche aber herrscht verpflichtende Bürde,
in ungestörter Ruhe, mit erhabener Würde.
Freiheit und Verpflichtung – ein Geisteskeim,
wer wird der wahre Herr von beiden sein?
Verpflichte ich mich zur geistigen Wirklichkeit,
werden meine Sinne und Glieder inniglich.
Die Augen öffnen sich im sensiblen Licht,
Lebe ich aber begehrliche Ambition,
flüsternd im Zeitgeist anmaßender Intention,
hinab geht meine Seele in den Kerker der Isolation.
Im geistigen Reich herrscht die Herrentugend Pflicht,
mit einem unendlich freien Angesicht.
Notwendig ist die Pflicht, die jene Mitte schafft,
mit großer Liebe und einzigartiger Freiheitskraft.
Denn es herrschen Magie und Souveränität
im Entschiedensein zur Moralität.
Deshalb, wenn ich einmal sterbe,
erkenne ich, wie meine Freiheit werde.
Die Verpflichtungen sind es, ich habe sie geleistet,
sie zu einem runden Ergebnis gemeistert.
Freiheit ist die Essenz, der Lohn,
Verpflichtung und Freiheit bilden eine souveräne Union.
Die Wahl der Handlung, zunächst auferlegte Qual,
über sie waltet die Pflicht, es ist der heilige Gral.
Im Erdendasein sind die Glieder frei und bewegt,
unbescholten, jedoch ohne Ziel und Weg.
Im Nachtodlichen sind sie nur frei im Licht,
wenn sie sich ergaben der moralischen Pflicht.
Heinz Grill, 28. August 2023
1) Das Beitragsfoto zeigt Schloss Hohenfels am Bodensee, das Michael Birnthaler zusammen mit seinem Team als Kultur- und Veranstaltungszentrum aufgebaut hat.
Anmerkungen
⇑1 | Das Beitragsfoto zeigt Schloss Hohenfels am Bodensee, das Michael Birnthaler zusammen mit seinem Team als Kultur- und Veranstaltungszentrum aufgebaut hat. |
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Die Bedeutung der Pflicht als höchste moralische Instanz wird in dem Gedicht in künstlerischer Weise beschrieben. Damit löst sich von dem Begriff Pflicht eine leicht einengende Schwere, die als Stimmung oft mit sich bringt im Alltag.
Wahre Pflicht vom gesellschaftlichen Sicherheitsdenken gut zu unterscheiden, ist von großer Bedeutung. Das bedarf bedingungsloser Ehrlichkeit.
Oft ist gerade der Abschied von einem falschen Pflichtdenken befreiend.
Ist man in Lebensidealen gut gegründet, wird man seiner Lebensaufgabe gerecht. Es ergibt sich die Pflichterfüllung.
Zunehmend wird das Sicherheitsdenken abgelegt, das unter Umständen gesellschaftskonform ist. Das Verständnis von Pflichterfüllung wird angehoben.
Dies bedeutet nicht, dass es nicht Situationen gibt, wo es angebracht ist, sich dem Gesellschaftssystem anzupassen.
Rabindranath Tagore sagte:
„Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude,
ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht;
ich handelte – und siehe: Die Pflicht war Freude.“