Geistige Schulung und die nachtodliche Welt

Von Heinz Grill

Eine einfache Darstellung aus der ägyptischen Mythologie, wie sich die Seele über den physischen Leib in das Kosmische hinausschwingt.

Wenn der physische Leib mit dem Tode abscheidet, bleibt dasjenige menschliche Glied, das allgemein als Seele benannt wird, weiterhin bestehen. Es stellt sich aber die Frage, wohin diese Seele nach dem Tode gehen wird. Die einfacheren Erklärungen, die sehr häufig den Kindern mitgeteilt werden, lauten, dass die Menschen nach dem Tode entweder in den Himmel oder in die Hölle kommen. Für eine intensivere und umfassende Betrachtung mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund sind diese beiden Begriffe zu einfach gewählt und bedürfen einer sehr sorgfältigen und genaueren Ausarbeitung. Gleichzeitig besteht die Gefahr einer Polarisierung, die meistens die sogenannten braven und gehorsamen Menschen dem Himmel zuordnet und die Häretiker, die abscheiden, infolge ihrer revolutionären Haltung, in die Hölle verdammt. Jener Zustand, den die Seele nach dem Tode einnimmt, ist in der Regel auf der Grundlage der intensiveren Verbundenheit oder des Isoliertseins mit abgeschlossenen Verhältnissen zu deuten. Himmel und Hölle wären vereinfachte Begriffe für versöhnliche Verbundenheit oder belastendes Getrenntsein.1) Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die etymologische Bedeutung des Wortes Hölle auf die germanische Sprachwurzel “hel”zurückgeht, die so viel bedeutet, wie verbergen. Diese Sprachwurzel erscheint heute noch in dem Wort verhehlen. (s. Deutsches Wörterbuch der Gebrüder Grimm und Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache von Friedrich Kluge.)

Nun besteht auf naturgegebene Weise wohl in jedem Menschen der Wunsch nach einem schönen, harmonischen Dasein auf Erden, mit wenig Unannehmlichkeiten, Krankheiten, Angriffen, Verwerfungen und negativen Gefühlen. Diese Bedürfnisse jedoch beschreiben die irdische Welt und lassen sich nicht auf die nachtodliche Wirklichkeit eines seelischen kosmischen Daseins übertragen. Ein schönes irdisches Dasein führt nicht oder selten zu einem Erquicktsein in der Seelenwelt nach dem Tode. Wenn der physische Körper abscheidet, verfällt dieser den gesamten Erdenstoffen, während dasjenige Glied, das Seele genannt wird, ganz frei und ohne Heimat in den Kosmos übergeht. Was ist aber dieser Kosmos und aus welcher Stofflichkeit besteht die sogenannte Seele? Es ist das große Lichtmeer der Sonne und in spezifischer Hinsicht der Sterne. Jeder einzelne Stern dieses zur Erde zugehörigen Planetensystems trägt ein bestimmtes Lichtverhältnis, wie beispielsweise die Venus oder wieder anders der Mars.2) Astronomisch wird das Planetensystem heute heliozentrisch, also zur Sonne zugehörig gedacht. In der Erforschung des Seelenlebens wird das Planetensystem aber in der Regel geozentrisch, also von der Erde aus gedacht, da die Seele mit dem Abscheiden von dort ihren Ausgang in die Planetensphäre nimmt. Inniglich sind die Sonnenkräfte, wie auch die astralen Wirkungen der Sterne mit der Seele und den verschiedensten Kräftewirkungen des menschlichen Gemütes verbunden. Wenn man nun von einem nachtodlichen seelischen Dasein spricht, so meint man nichts anderes, als ein Leben im freien Licht der Sterne, des Mondes und der Sonne. Die Seele wandert deshalb hinaus in den Kosmos und fügt sich in spezifischer Weise in die Lichtverhältnisse der Sterne hinein.

Somit leben auf sehr feinsinnige Weise jene menschlichen Qualitäten und tiefen Empfindungskräfte in einem der Erde übergeordneten Dasein weiter. Wer die Sterne, den Mond und die Sonne nicht nur von einem rein physischen Standpunkt betrachtet, sondern feine Lichtqualitäten mit hohem Empfindungscharakter in diesen verspürt, bemerkt eine seelische große Wirklichkeit. Sie ist unsichtbar, ausgespannt, strahlend und auf subtile Weise im Kosmos existent.

Ob der Mensch materiell ein sehr reiches oder armes Dasein zu Lebzeiten geführt hat oder ob er eine friedvolle Todesstunde oder eine schwere Belastung in den letzten Stunden erleiden musste, ist für die nachtodliche Welt von keinerlei Bedeutung. Ebenfalls ist die Glaubensgesinnung in einer Gruppe, die Religion oder Weltanschauung keinerlei Privileg für ein harmonisches nachtodliches Dasein. Die so häufige Entschuldigung, die heute Menschen vorbringen, dass sie keine günstige Entwicklung erringen konnten, weil sie von den Mitmenschen daran gehindert wurden oder die billige Selbstentschuldigung, man sei in ein falsches System, an einen falschen Lehrer oder an schlechte Eltern geraten, zählen im nachtodlichen Leben nicht. Die Vorwände, die man im irdischen Leben einbringen kann, werden im Jenseits, dann, wenn die Seele frei ist, nicht belohnt. Versäumnisse für Verpflichtungen können dann, wenn der Körper hinwegfällt, nicht mehr nachgeholt werden.

Welche Werte zählen tatsächlich im Nachtodlichen? Gibt es seelischen Reichtum mit lichter Erquicktheit und seelische Armut mit Isoliertheit, Bedrängnis und Verschattung? Ja, es gibt diese. Das Leben aber muss auf sehr sorgfältige und genaue Weise beobachtet werden, damit die wirklichen Werte gefördert werden und unsinnige zeitverschwendende Handlungen gemieden bleiben. Oftmals sind größte Gegenbilder vom irdischem zum nachtodlichen Leben gegeben und dies ganz besonders bezogen auf jene Menschen, die ausgegrenzt, beleidigt, verworfen und mit aller unsachlichen Kritik beladen werden. Sie erleben nämlich, sofern sie ihren Idealen treu geblieben sind und eine ehrliche, bemühte Charakterhaltung bewahrten, ein großes Maß an Verbundenheit bis hin zu außerordentlich glücklichen, lichtvollen Perioden. Wie viele Menschen werden heute aufgrund ihrer ehrlichen Haltung von der Gesellschaft verworfen, ausgegrenzt, vor Gerichte geschleppt und mit allerlei Widersprüchlichkeiten angeklagt und wie viele Personen leiden unter den Lügen der weltlichen Propagandamächte? Richten sich diese Menschen auf oder geben sie sich passiv dem Schicksal hin? Diese Fragen sind entscheidend. Die nachtodliche Welt schenkt gerade jenen ein hohes Maß an Verbindung, die für Gerechtigkeit eintreten und ihr Leben, trotz der vielen Angriffe, die sie erdulden müssen, für eine ideale und bessere Zukunft einsetzen.

Aber es sei zu bemerken, dass es viele Personen gibt, die mit revolutionärer Gewalt und Gegenwehr gegen die Zeitbedingungen antreten und in ihrem inneren Charakter doch keinerlei bessere Wertgefühle, Tugenden und Weisheiten vorbringen können. Diese Menschen dürfen sich nicht darauf verlassen, dass sie im Nachtodlichen einen hohen Lohn mit einer sonnenhaften Verbundenheit erleben. Für sie wird das Wetter, wenn man es so bildhaft ausdrückt, in dieser jenseitigen Region schlecht bleiben und die Wolken werden sie in den Gefühlen abschirmen. Ihre Seelen sind noch nicht inhaltlich reichhaltig und liebeskräftig geworden, sie sind noch nicht geistig erfüllt und deshalb bleiben sie im nachtodlichen Leben oftmals sehr wenig verbunden und müssen sehr viele Schatten weiterhin ertragen.3)Der Protest allein bringt noch nicht den nötigen Fortschritt, sondern muss auch mit der Entwicklung tieferer Werte im Seelenleben einhergehen. Große Freiheitskämpfer wie Bonhoeffer oder Gandhi brachten durch ihre Person vor allem fortschrittliche Seeleninhalte in das Leben.

Ein häufiger Fehler in der geistigen Schulung ist jener, dass sich Personen einem vollkommen falschen Freiheitsgefühl zu Lebzeiten hingeben. Sie verwechseln wahre seelische Reife mit eigensinniger Selbstbestimmtheit und sie glauben an Wortformeln des Geistes nach beliebiger persönlicher Interpretation. Ganz besonders in Yogakreisen und vielleicht sogar noch mehr bei anthroposophischen Personen, wie auch bei einer großen Anzahl von ehemaligen Teilnehmern der Schule des Neuen Yogawillens herrschen hoch-illusionäre und eitle Einbildungen, die sie in das trügerische Gefühl eines Besserseins als andere erheben. Wortformeln zählen in der nachtodlichen Welt nicht, nur der authentische Seelencharakter, der mit Weisheit und Liebeskraft erfüllt ist, gewinnt eine vorzügliche Stellung. Eine Person ging eineinhalb Jahre in die geistige Schulung. Sie trat bereits mit schwerer Krankheit in diese Schulung ein. Der Tod konnte über diese Zeitperiode verhindert werden und diese Person lebte zuletzt ganz in der Vision und Sinnerfüllung eines möglichen Ideals zur Zukunft. Sie starb, weil die Lebenskräfte doch einmal zu Ende gingen und schon nach kurzer Zeit lässt sich eine sonnenhafte Verbundenheit zu ihr erkennen. So wie es aber positive, schöne Beispiele gibt, gibt es auch sehr belastende. Wie sehr beispielsweise die letzten zehn Jahre meine Hinweise und Kritiken bei Teilnehmern von Ausbildungen und Kursen übergangen wurden und zu Schädigungen der geistigen Schule, als auch der gesamtmenschlichen Bedingungen führten, ist kaum fassbar. Nicht wenige Personen, die Schulung begonnen, aber nicht ordentlich weitergeführt haben, sind mittlerweile an Krankheit verstorben und erleben im Nachtodlichen keinerlei geistige Erfülltheit. Sie blicken auf eine Enge und Bedrängnis. Sie sind wie getrennt, isoliert durch ihr eigenmächtiges Interpretieren geistiger Inhalte. Man könnte glauben, sie hätten noch nie eine geistige Verpflichtung verspürt und scheiden ab ohne wahre Religion. In anthroposophischen Kreisen lassen sich leider erschreckende Wahrnehmungen entdecken. Personen, die sehr viel über Astralleib, Ätherleib, soziale Dreigliederung sprachen und auf dem irdischen Plan scheinbar wussten, wer zur wahren Gilde der Menschheit berufen und wer auf der anderen Seite noch nicht bei Wahrheiten angekommen sei, erleben einen hohen Mangel mit Trennung und Verschattung im Nachtodlichen. Sie glauben, sie wären Anthroposophen gewesen, und sind dennoch zu den Inhalten und weisheitsvollen Gedanken von Rudolf Steiner niemals vorgedrungen. Der Ernst einer geistigen Schule führt in der Regel zu Werten im irdischen Dasein und darüber hinaus zu einer Fülle im nachtodlichen Erleben. Es müssen jedoch Studieninhalte tatsächlich wahrheitsgetreu gelernt und ausreichend tiefgründig bis in die Erfahrung gebracht werden, damit die Seele ihre Verbundenheit auf einer größeren, umfassenderen, kosmischen Ebene entdecken lernt. Ein ordentliches Studium geistiger Inhalte und ihre Verwirklichung bis hinein in das Sozialleben schafft, wie die Beispiele der letzten Jahre des Arbeitens in Naone gezeigt haben, freudvolle Verbindungen im menschlichen Miteinander und eine reichhaltige Erkraftung der Empfindungen im Herzen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die etymologische Bedeutung des Wortes Hölle auf die germanische Sprachwurzel “hel”zurückgeht, die so viel bedeutet, wie verbergen. Diese Sprachwurzel erscheint heute noch in dem Wort verhehlen. (s. Deutsches Wörterbuch der Gebrüder Grimm und Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache von Friedrich Kluge.)
2 Astronomisch wird das Planetensystem heute heliozentrisch, also zur Sonne zugehörig gedacht. In der Erforschung des Seelenlebens wird das Planetensystem aber in der Regel geozentrisch, also von der Erde aus gedacht, da die Seele mit dem Abscheiden von dort ihren Ausgang in die Planetensphäre nimmt.
3 Der Protest allein bringt noch nicht den nötigen Fortschritt, sondern muss auch mit der Entwicklung tieferer Werte im Seelenleben einhergehen. Große Freiheitskämpfer wie Bonhoeffer oder Gandhi brachten durch ihre Person vor allem fortschrittliche Seeleninhalte in das Leben.

3 Replies to “Geistige Schulung und die nachtodliche Welt”

  1. Es ist tatsächlich so, dass die nachtodliche Welt wartet, bis wir Erdenbürger tag-täglich uns überwinden, arbeiten, pädagogisch und künstlerisch wirken, um zu einer besseren, friedfertigen Moralität reifen mögen.
    Es gibt leider immer weniger gute, echte, wahrheitsgetreue Seelsorger:Innen.
    Dafür stehe ich gerade und versuche eben nicht zu missionieren. Das brauchen wir
    nicht.
    So ist es in meinen einfachen Worten zu verstehen und es ist wahrhaftig ein heil-sames Studium der echten Theologie und wahrheitsgetreuen, stimmigen Seelsorge.
    Und ich hab nun 3 Wochen erfahren dürfen, in einer anthroposophischen Einrichtung der Christengemeinde, wie auch hier tag-täglich der Friedensappell gelebt wird – weltweit wird dasselbe Ritual ausgeführt.
    Es ist eben so wie im Yoga und Ayurveda, einmalig zu verstehen und sehr lebendig, echt und authentisch sehr wichtig für die Weltenwickelung!!!!
    Danke für Euer Gehör und allen, die daran arbeiten – es werden die Toten wirklich von unserer so wertvollen Arbeit es viel leichter haben, in die Lichtwelt
    vorzudringen!!! Danke, Angelika W.

  2. So, wie ich die Ausführungen von Heinz Grill verstanden habe, steht das nachtodliche Erleben der Seele (Verbunden- oder Getrenntsein) unmittelbar in Verbindung mit den selbst errungenen Erkenntnissen und authentisch gelebten höheren Werten. Die Seele will demnach nicht im „Eigensinn“ leben, sondern sich zum „höheren Sinn“ erheben. Aber wie schnell übernimmt man Begriffe oder Ideen, ohne sie genauer studiert und kennengelernt zu haben, um dann nach seinem persönlichen Fürwahrhalten damit umzugehen?

    Auch Rudolf Steiner mahnte in vielen seiner Vorträge über die Anthroposophie die Zuhörer, sich nicht nur zu einer Anthroposophischen Gesellschaft zugehörig zu fühlen und sich als Mitglieder zu verstehen, sondern vor allem das Anthroposophische wirklich zu verstehen und dieses in das Leben hineinzuführen. Hier ein Zitat dazu aus „Anthroposophische Gemeinschaftsbildung“, GA 257 Seite 119:

    „… Ich möchte durch solche Schilderungen ein wenig hinweisen darauf, daß ja das Wichtigste ist für die Anthroposophische Gesellschaft, wenn sie sie sich weiterentwickeln will, daß sie ergriffen wird wirklich von wahrem Verständnis für die Anthroposophie. Ist dieses wahre Verständnis für die Anthroposophie da, dann ist dieses Verständnis der Weg nicht bloß zu Ideen vom Geiste, sondern zu Gemeinschaft mit dem Geiste. Dann aber ist das Bewußtsein dieser Gemeinschaft mit der geistigen Welt auch gemeinschaftsbildend. Und die Gemeinschaften, die vom Karma vorausbestimmt sind, werden sich bilden. Sie werden eine Wirkung des rechten anthroposophischen Bewußtseins sein. Nicht äußerliche Mittel können angegeben werden. Wenn sie Ihnen ein Mensch schildert, schildert er Ihnen etwas Scharlatanhaftes.“

    Ich finde die Ausführungen von Heinz Grill zur nachtodlichen Welt auch deswegen sehr bedeutsam, da sie die Gesetze beschreiben, die für viele verborgen sind und – das wurde im Artikel auch deutlich – ein Nachbessern versäumter Entwicklungsschritte dort nicht mehr möglich ist.

  3. „Es irrt der Mensch solang er strebt.“
    Man sollte vielleicht bei aller möglicherweise berechtigter Kritik nicht unerwähnt lassen, dass es unzählige Menschen und auch Anthroposophen gibt, die einfach nur ihre Arbeit machen und somit dem Ganzen dienen, ohne viel zu reden.

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