Artikel von Heinz Grill
In den älteren Zeiten der Yogakultur Indiens äußerte jede Verneigung eine Art des sich gelösten Hingebens, ein sich frei Machen vom Körper mit einem gleichzeitigen Blick der Seele in den unendlichen Kosmos. Dieses körperfreie Gefühl ist sicherlich dem Orientalen näher, der in leisen Ahnungen eine kosmische Seelenstimmung in sich bewahren konnte. Dem Okzidentalen, der mehr eine anthropozentrische Mentalität pflegt, die in sich weniger Offenheit zeigt, ist dieses Gefühl der Hingabe eher fremd. Die kosmozentrische und anthropozentrische Seelenhaltungen sind bezeichnend für die grundsätzlichen Stimmungen von Osten und Westen.
In der klassischen Übung des Yoga Mudra offenbart sich ein Gelöstsein des Hauptes, des Nackens und Oberkörpers. Während der Sitz im Lotus eine stabile Basis gründet, neigt sich der Oberkörper nach vorne zur Erde. Spannungslos, ohne jeglichen Krafteinsatz, gibt sich der Körper dem Erdenschicksal preis. Gleichmut und Gelöstheit äußern sich durch das entspannte Hingeneigtsein.
Der stabile Lotussitz und der entspannte Oberkörper.
Je mehr dieses Loslassen der gesamten oberen Körperhälfte gelingt, desto freier und unbeschwerter kann der Atem in den Lungenraum hineinströmen. Die Hinneigung ist wie ein vollkommenes körperliches Gelöstsein und bereitet die Lunge für den einströmenden Atem vor. Während jedoch der Körper entspannt zum Boden gleitet, verweilt das Bewusstsein in höchster Aufmerksamkeit, Beobachtung und Wahrnehmung gegenüber den einzelnen Phasen der Übung.
Das Yoga Mudra im Fersensitz ist eine leichtere Variante.
Das gezielte Hinneigen des Körpers fördert ein wachsendes Bewusstsein von Sensitivität und intensiver Wahrnehmung. Jede Form des körperlichen Gelöstseins erlaubt eine Verlebendigung der Sinnesvorgänge und der Gedankenführung.
Das weite Ausdehnen der Arme unterstützt das Hinneigen zum Boden.
Es ist das Lungenorgan, das sich während des bewussten Hinneigens in zunehmendem Maße von Belastungen befreit, sodass der Atem eine freie Bewegung einnehmen kann. Die Lunge wird wie ein Strombett für eine Bewegung der Luft, die sich durch die Ruhe makellos und souverän bis in die kleinsten Zellen öffnet. Der Atem gewinnt Tiefe, ohne schwer zu werden. Das Yoga Mudra dürfte eine der hervorragendsten Übungen zur Regeneration der Pleura, des Atemtraktes, der Interkostalmuskeln, des Diaframmas, der Bronchien und Bronchiolen darstellen und entspannt die Schultern und den Nacken.
Yoga Mudra mit Variationen:
Ausdehnung nach der Flanke parsva yogamudra.
Der Übende ist mit seinem Oberkörper hingeneigt und senkt sich zur Erde. Ein feiner Prozess, der annähernd vergleichbar mit einem Gefühl des körperlichen Sterbens identifiziert werden kann, begleitet stets die einzelnen Phasen des Sich-Nach-Vorne-Hinabneigens. Die Haut weist eine Korrespondenz mit der Lunge auf. Diese bleibt am gesamten Oberkörper und dem Gesicht entspannt. Wenn die Haut von dem Yogaübenden entspannt erlebt wird, bemerkt er ein leichteres und freieres Einströmen des Atems. Aus diesem Grunde sollte der Übende gelegentlich auf die entspannte Haut seines Körpers achten.
Sehr anspruchsvoll sind die weiteren Variationen, denn der Übende benötigt eine grundsätzliche Beweglichkeit, damit er, wie im folgenden, die gebundene Form des Lotus einigermaßen spannungsfrei bewältigen kann.
Gebundener Lotus mit Verneigung.
Leichter lässt sich die Armbewegung nach rückwärts in einer entsprechend gewählten Sitzhaltung ausführen. Während die Arme steil nach hinten und oben hochragen, bleiben die Schultern und der Nacken entspannt. Der Atem fließt bis in die Tiefe und erhält eine außerordentlich stille Kräftewirkung gegenwärtig.
Armvariation nach dem Rücken.
Diese folgende Bewegung ist meist nur mit einem Zugeständnis einer gewissen Spannung an der Haut möglich. Dennoch sollte auf das Einströmen des Atems wie in ein freies Strombett, das sich einer von außen kommenden Bewegung öffnet, geachtet werden.
Yoga Mudra mit gefalteten Händen am Rücken.