Spiritualität und der Weg zum Frieden in der Welt

Artikel von Heinz Grill

Die primäre Rolle der Spiritualität für den Weltfrieden

Die Art der Wahrheitstreue und die Tiefe der Auseinandersetzung, die der einzelne Bürger im Bereich der Spiritualität lebt oder zu leben beabsichtigt, wird wohl die am stärksten zu wertende Motivkraft für die Erlangung eines friedvollen Weltendaseins sein. Man könnte mit einem oberflächlichen Blick gesehen dem Glauben unterliegen, dass die Harmonie in der Welt und das gegenseitige Achten, Respektieren und Fördern des Anderen und der anderen Völker von politischen und ökonomischen Systemen primär abhängig wären und das individuelle spirituelle Bewusstsein des einzelnen Menschen für den Frieden in der Welt kaum eine nennenswerte Bedeutung besäße.

Das einzelne menschliche Individuum kann sich wohl niemals zu einer vollkommenen Reife entfalten, wenn es sich nicht mit den Fragen über die seelisch geistige nachtodliche Seinsexistenz ausreichend auseinandersetzen kann und deshalb mit den allerbedeutungsvollsten Fragen auf rein weltliche Antworten und passive Glaubensspekulationen angewiesen ist. Die Sehnsucht nach einer friedliebenden Welt, die endlich aufhört gegenseitige Kriege anzuzetteln und nicht auf Nachbarstaaten lügenhafte Projektionen wirft, die den Missbrauch von Ausbeutung und Diskriminierung einsieht und schließlich daraus ein Gleichgewicht in der Ökonomie und eine wirkliche Sozialität formt, gibt es wohl ohne die geistige tiefgreifende Auseinandersetzung mit den höheren Seinsexistenzen nicht.

Das Versagen der Kirchen als Ursache für den aufkommenden Materialismus und Fundamentalismus

Die Kirche als Institution und allgemein die heute anerkannte Theologie bietet dem Menschen keinerlei Möglichkeiten, das nachtodliche Leben und die essentiellen Wahrheitsformen der Schöpfung erkenntnismäßig oder zumindest empfindungsmäßig zu erfassen. Sie leistete keinerlei dieser wesentlichen Arbeiten und das wäre vor allem die Eruierung der Fragen, wie der Einzelne endlich zur Beantwortung seiner spirituellen Möglichkeiten, zu seiner schöpferisch geistigen Realisation zufriedenstellend gelangen könnte. Die offizielle Institution hat wohl in all diesen Fragen und deren Beantwortung vollkommen versagt und nicht nur versagt, sondern im eminentesten Sinne zum Materialismus und dadurch zu vielfachem Unfrieden beigetragen. Das heutige Problem des Islams dürfte wohl bei genauerer Betrachtung, sowohl aus der datierenden Geschichte als auch von der Art und Weise, wie sich christliche Wertkriterien wirklich überzeugend behaupten konnten, eine Frage des Versagens des esoterischen und spirituell orientierten Christentums sein.Infolge des Ausschließens der Präexistenz der Seele, der Reinkarnationslehre und der Initiationsgeheimnisse aus der christlichen Geschichte kann wohl gar keine andere Offenbarung eintreten, als dass sich schon bald nach der Erklärung der Kirche in Rom im nahen Osten die große Bewegung, hauptsächlich von Mekka ausgehend, entfalten musste und diese sich raumfordernd, gewissermaßen wie eine außerordentlich große Expansion, bis in die europäischen Länder ansiedelte. Das Fehlen der wirklichen tiefen Erkenntnisse und Erfahrungen, die das christliche Geistesgut ursprünglich in sich tragen würde, muss eine Art Reaktion des Fundamentalismus, der totalitären Wahrheitsansprüche und des materialistischen Prinzips in der ganzen Welt verursachen.

Die Fragen der Seele sind für die Entwicklung des Individuums wesentlich

Das Ziel dieser Ausführungen sollte jedoch nicht eine Wertung von religiösen Bekenntnissen und Überzeugungen beinhalten, es sollte vielmehr nur diejenige Tatsache beleuchten, die in der Weltenschöpfung wohl am meisten im Mangel begriffen ist. Das christliche Dasein, wenn man es nach offiziellem und allgemein weit verbreitetem Verständnis betrachtet, besteht im Besuchen des Sonntagsgottesdienstes, der Teilnahme an Begräbnis- und Konfirmationsritualen und im Zahlen einer Kirchensteuer. Wohin jedoch die Seele nach dem Tode strebt und an welchen Orten sie sich aufzuhalten erwünscht, ob sie in ein neues Dasein wiederkehren wird oder sich bereits mit einem einzigen Aufenthalt im Erdendasein zufrieden gibt, scheint den gewöhnlichen Bürger der Zeit, der durch die Familientradition getauft wurde und in der Schule einen christlichen Religionsunterricht erhalten hat, nicht mehr großartig zu interessieren. Diese wesentlichen Fragen wären jedoch für die Reifewerdung des einzelnen Individuums von einer außerordentlich bedeutsamen Wichtigkeit.

Aktive Auseinandersetzung – Konsumorientierung

Erich Fromm, Psychologe und Buchautor: Seine sorgfältige inhaltliche Auseinandersetzung prägt seinen Gesichtsausdruck bis in die Physiognomie

Zwei entschieden große und fundamental verschiedene Haltungen lassen sich auf den weitreichenden Gebieten von Spiritualität erkennen. Einerlei erscheint bei dieser Betrachtung, ob es sich um eine buddhistische, christliche, sufistische, hinduistische, anthroposophische oder allgemeine orientalische Orientierung handelt, denn eine wesentlichere Bedeutung nimmt die produktiv schöpferische Grundhaltung des einzelnen Individuums ein. Es kann sich der einzelne Bürger mit Spiritualität tatsächlich erkenntnismäßig und aktiv auseinandersetzen oder er kann im Gegenzug hierzu sich im passiven Credo hingeben und – wie es Erich Fromm in seinen philosophischen Darlegungen ausdrückte – Gebete, Meditationen und Rituale wie Marktware benützen. Die Konsumorientierung auf den offiziellen sogenannten „spirituellen Wegen“ dürfte heute wohl die am weitesten verbreitete Grundhaltung sein und verdrängt durch ihren materialistischen Charakter die wirkliche aktive Auseinandersetzung mit den tiefgreifenden Fragen des nachtodlichen Existentseins.

Unterschiedliche Haltungen in Bezug auf Übungen

Das Bild einer in sich versunkenen Meditation

Auf die verschiedenen Übungen bezogen, seien es Meditationen, Körperertüchtigungen des Yoga, Atemverrichtungen oder bestimmte energetische Affirmationen, bedeutet diese unterscheidende Aussage, dass der einzelne Interessierte sich entweder aktiv, mit Auseinandersetzung zu einer Übung in Beziehung bringt, oder diese im passiven Glauben für sich äußerlich zum Vorteil nützt. Eine Meditation wird heute häufig zur Entspannung und Bewältigung des Alltagsstresses regelrecht eingesetzt und leider bleiben die Fragen nach dem Inhalt der Meditation, nach dem Werden und Reifen des Bewusstseins zu einer Einsicht in die geistigen Welten, vollkommen unbeachtet. Obwohl das Hören von Meditationsmusik zur Entspannung keine Nachteile für das Seelenleben bringen muss und das Üben von einer Yogadisziplin, um sich körperlich ein sogenanntes „Benessere“, ein intakteres Körpergefühl anzueignen, kein spirituelles Sakrileg, sondern heute eine gewöhnliche Ausgleichstätigkeit darstellt, geht dennoch die spirituelle Fragestellung und die wirkliche Beziehungsaufnahme zu den geistigen Welten verloren.

Ein interessierter Teilnehmer eines Yogakurses kann beispielsweise die Position des Kopfstandes und diejenige des Schulterstandes erlernen und aus diesen einen gesundheitlichen Nutzen gewinnen. Bereits die Disziplin, eine Sache äußerlich zu erlernen, stellt eine Art Opferleistung mit einem relativ großen Anteil an Eigenaktivität dar. Das Gewebe und das Stoffwechselleben werden belebt und die Übungen besitzen immer einen relativ hohen Nutzwert für die mentale Konzentration und für das körperliche nervliche wie auch vegetative Gleichgewicht. Gleichzeitig wird bei diesen zwei genannten Übungen das Kreislaufleben durch die Umkehrhaltung leichter zum Herzen konzentriert.

Noch liegt jedoch die spirituelle Frage dieses Übens relativ brach und erhält noch keinerlei Aufmerksamkeit. Im Vordergrund stehen die nützlichen Werte, die der Einzelne aus den Übungen für sich und für das Wohlbefinden gewinnen kann. Sicherlich könnte der Übende sagen, dass er durch die Praxis einer entsprechenden Yogaübung eine bessere Konzentration findet und in der Folge dieses Gewinnes dem Leben aktiver mit einer solideren emotionalen Haltung begegnen wird. Der Übergang zur entschiedenen spirituellen Fragestellung fehlt jedoch in jeder Weise, da die Dimensionen einer höheren, seelisch-geistigen Wirklichkeit noch nicht in das Bewusstsein aufgenommen werden.

Entwickeln von Unterscheidungskriterien zur Überwindung einer materialistischen Grundhaltung

In einem weiteren Lernschritt vermag der Übende durch Interesse in das Bewegungsleben und seine Tiefe einzudringen und schließlich gewinnt er über die Übungen nicht nur einen gesundheitlichen Vorteil, sondern erfährt beispielsweise erste Unterscheidungskriterien zwischen dem frei verfügbarem Seelenleben und den Körperbedingungen. Er lernt den Ausdruck einer künstlerischen Ästhetik kennen. Was ist die Seele, wie erscheint sie, wie unterscheidet sie sich von den körperlichen und emotionalen Vorgängen? Indem man beispielsweise Fragen dieser Art stellt, will man regelrecht nicht nur den Nutzwert einer Übung erfahren, sondern die Wirklichkeit im seelisch geistigen Urgrund erfassen. Man kann sagen, dass man eine Übung bis in die Tiefe hinein kennenlernen kann und sich in der Erkenntnis der verschiedenen zugrundeliegenden Seinsexistenzen erlebt, die das materielle Prinzip überschreiten. Eine Übung kann, um es grob auszudrücken, zum egoistischen Vorteil benützt werden, oder eine frei schaffenden Erkenntnis zur Verfügung führen. Der Unterschied zwischen diesen Vorgehensweisen ist für die Stellung des Individuums außerordentlich bedeutungsvoll, und dies nicht nur für die gesamte soziale Frage in der Welt, sondern sogar für die Seelendimension im nachtodlichen Dasein.

Das Bedürfnis der Seele nach Beziehungen und Wahrheitsempfindungen wird durch die materialistische Konsumhaltung erstickt

Die Seele will aus ihrem eigenen Urgrund die Verbindungen auf größtmöglicher und weitest gefasster Ebene mit den verschiedensten Weltenprinzipien und schließlich mit ihrem geistigen Urgrund finden. Dieses Bestreben der Seele, die mehr in stillen und unmerklichen Daseinsgründen atmet, drückt sich weniger durch eine äußere vitale Energie und starke sich behauptende Emotionen aus, sie gründet sich vielmehr in feinen, unmerklichen Wahrheitsempfindungen und inniglichen Beziehungen. Die Seele mit ihrer stillen sehnsüchtigen Bemühung wird durch die vielen materialistischen Konsumhaltungen nahezu erstickt.

„Spiritueller Konsum“ erschafft Trennung im Zwischenmenschlichen

Wer sich in den entschiedenen Fragen des philosophischen Lebens erkenntnismäßig und beziehungsvoll gründet, wer Übungen nicht nur für den materiellen Vorteil konsumiert, sondern diese bis in die tieferen Schichten kennenlernt, wer die Seele einer Übung erfasst oder die Signatur einer Erscheinung im Dasein durch ein lernfähiges Auseinandersetzen empfindet, übersteigt gewissermaßen seine persönlichen Grenzen und nähert sich den geistigen Dimensionen an. Der Unterschied zwischen der Grundhaltung, ob sich jemand mit Spiritualität wirklich auseinandersetzt und diese erkennen lernt, oder ob jemand nur den materiellen oder auch energetischen Nutzwert für sich beansprucht, ist so groß wie die Sphäre des Tages und diejenige der Nacht. Jeder „spirituelle Konsum“ im einseitigen Expandieren, wie auch gleichermaßen alles unbewusste Unterlassen von dringender Auseinandersetzung, ergießt in das weltliche Dasein regelrechte Abschirmungen wie meteorische Nebel und errichtet trennende Schranken unter den Menschen. Es bewirkt der heutige moderne spirituelle Konsum, der vielfach im Yoga, in esoterischen Gebräuchen und ganz besonders aber in passiven nicht hinterfragten Bekenntnissen liegt, eine für die gesamte politische und ökonomische Weltenlage große Disharmonie. Während auf der einen Seite einstmalig spirituelle Übungen heute regelrecht dem Materialismus verfallen sind, steigt auf der anderen Seite der Fortschritt der Technik, der den Preis vom Menschen verlangt, dass er mit unheimlichen Methoden ein Wirtschaftswachstum um seines Überlebens willen fordern muss.

Die errungenen Gedanken und Empfindungen der Seele strahlen auf den Weltfrieden aus

Die Art und Weise wie der Einzelne seine spirituelle Einstellung im Leben entwickelt, mit welcher Tiefe er Übungen der Meditation oder des Yoga absolviert, strahlt unmittelbar in die geistige höhere Welt hinein. Ist die Einstellung tendenziell konsumorientiert, materialistisch, egobezogen, nur einseitig nach energetischen Vitalität strebend, oder ist sie nach Wahrheiten forschend, nach Weisheit strebend, im Interesse nach dem Geiste gegründet, beziehungsvoll, sozialorientiert, die Ästhetik der höheren Welten ersuchend? Die erlangte Tiefe der Auseinandersetzung wird sich in jedem Fall auf den gesamten Weltfrieden auswirken. Das einzelne Individuum, selbst wenn es sich im großen Ganzen, wie das heute so häufig der Fall ist, als unbedeutend und klein erlebt, wirkt mit der inneren Einstellung auf ein Weltenganzes und somit auf die Erhaltung oder auf die weitere Zerstörung des Weltenfriedens. Kirchen und Glaubenssysteme sind in der jetzigen Zeit recht unbedeutend, wenn sie sich auch immer als groß erleben oder wenigstens danach trachten groß zu sein. Ein Glaubenssystem mit institutionellem Charakter besitzt keine Wirklichkeit in den höheren Welten, sondern es nimmt lediglich eine Wichtigkeit in der materiellen Welt ein. Die innerste Einstellung des Individuums selbst, des Akademikers, wie des Arbeiters, des Lehrers, wie des Lernenden, ob sie tendenziell konsumorientiert, oder zum Gipfel einer schöpferischen, beziehungsvollen Aktivität emporklettert, erstrahlt mit ihrem errungenen und geformten Seelenlicht in die geistige Welt.

Aktive Auseinandersetzung mit spirituellen Fragen verbindet Menschen

Derjenige, der sich mit Übungen und Meditationen bis in die Tiefe auseinandersetzt und mithilfe dieser die Wahrheiten der geistigen Welt kennenlernt, wird im nachtodlichen Leben für seine Mitmenschen eine inspirierende Kraft zur weiteren Auseinandersetzung und Freiheit des Gedankenlebens freisetzen. In einer nächsten sogenannten Inkarnation, in einer neuen Wiederkunft, nimmt er diese gewonnene Kraft erneut in seine Seele auf und wird auf den verschiedensten Gebieten des Daseins die Kraft in das Leben hinausstrahlen, Menschen miteinander zu verbinden.

Das trennende und das verbindende Prinzip zeigen sich in der Art und Weise, wie der einzelne Übende auf seinem Weg die Spiritualität belebt. Das konsumorientierte Verhalten erschafft die trennenden Schranken und führt schließlich zu allerlei politischen und ökonomischen Missständen. Sie ernähren die Gewalt, die Lüge und den Unfrieden in der Welt. Die Auseinandersetzung mit Spiritualität, die Bildung von weisheitsvollen Gedanken und die Überschreitung der gewohnheitsmäßigen Nützlichkeitsprinzipien, erscheint zunächst unangenehm und doch fördert es die Reife wie auch die Freiheit des Individuums und schließlich erstrahlen in die geistige Welt genau jene Kräfte, die rückwirkend im irdischen Dasein schließlich einen Weltfrieden fördern.

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