Die gesundheitliche Wirkung einer Eigendynamik der Wirbelsäule
Artikel von Heinz Grill:
Das Bild der Übung
Zentrum und Peripherie beschreiben die geometrische Figur eines Kreises. Der Punkt in der Mitte verankert den Kreis mit seiner Regelmäßigkeit in sein eigenes Zentrum. Die rundende Bewegung, harmonisch und einend, offenbart eine Peripherie, die sowohl nach innen wie auch nach außen eine Art Unendlichkeit repräsentiert.
Der Bogen im Yoga entwickelt sich aus der eigendynamischen Spannkraft der Wirbelsäule. Sowohl nach den Beinen als auch nach dem Brustkorb schiebt sich die Wirbelsäule nach oben entgegen der Schwerkraft und gewinnt aus sich selbst heraus eine durchlaufende Spannung.
Sobald der Übende dieser nicht ganz einfachen und mühsamen Dynamik, die aus dem Rücken und dessen Muskulatur selbst beginnt, ausweicht, also den Musculus trapezius, Musculus latissimus dorsi, Muskulus quadratus lombarum, Musculus longissimus und Muskulus longissimus thoracis1)Der Musculus trapezius oder Trapezmuskel setzt beiderseits an der oberen Wirbelsäule an und reicht vom Hinterhauptbein bis zu den unteren Brustwirbeln und seitlich bis zum Schulterblatt. Er wird auch Kapuzenmuskel benannt.
Der Musculus latissmus dorsi ist der breite Rückenmuskel, der entlang der der Wirbelsäule verläuft.
Der Musculus quadratus lombarum ist einer der tiefen Bauchmuskel.
Der Musculus longissimus ist der längste Skelettmuskel des Rückens, er erstreckt sich über die gesamte Länge des Rückens vom Kreuzbein bis zum Kopf.
Der Musculus longissimus thoracis ist der Brustteil des länsgten Muskels im Bereich der Lende und des Brustkorbes nur passiv mit einem Hochziehen der Beine durch die Arme mitbewegt, entsteht sehr leicht ein Blutandrang im unteren Rücken und die mögliche regenerierende Wirkung, die der Bogen als Potential in sich trägt, bleibt weitgehendst außer acht. Der Bogen sollte makellos, aus seiner eigenen Dynamik in die grazile Höhe wachsen und auf diese Weise ein Bild der Stoffwechselfreude und regenerativen Aktivität darstellen.
Die Bedeutung des Stoffwechsel
Die Stoffwechselkräfte, die in besonderer Weise in den oberen Verdauungsorganen, im Bereich des Magens, der Pankreas, der Galle und der Leber, lokalisiert sind, benötigen zu ihrer Anregung ebenfalls bewegende Aktivität und gesunde Willenseinsätze. Die vielen sitzenden Tätigkeiten und einseitigen intellektuellen Überlastungen schwächen zunehmend diese aktive Verdauungsregion, die mit feurigem Einsatz viele Enzyme zur Nahrungsverwandlung bereitstellen muss. Indem eine gesunde Willenstätigkeit gerade aus der Wirbelsäule selbst im Sinne einer wachsenden Spannkraft entsteht, erwecken sich diese Stoffwechselkräfte in den Bereichen des Magens und der Pankreas und eine sofortige Erfrischung tritt ein.
Der Bewegungsansatz im Bogen
Für den Übenden ist der Bogen am Anfang ungewöhnlich, unbequem und schwierig. Das Hochspannen der Wirbelsäule Richtung Oberschenkel und Knie erfordert bereits einen Zugang zu einem eigenständigen Impuls der tragenden und ausgleitenden Anspannung gewissermaßen aus der Mitte, d.h. aus dem Zentrum, die die Wirbelsäule im Sinne des Bogens bildet. Die Peripherie bilden die Gliedmaßen, die Beine, die Arme, wie auch der Kopf. Wo aber befindet sich der Punkt? Liegt er an der Lendenwirbelsäule, relativ tief im Vergleich zur gesamten Wirbelsäule oder liegt er höher, etwa am 8., 9., 10. Brustwirbel?
Die Betrachtung des Bogens zeigt, dass die Spannung in Folge des Aufliegens auf dem Bauch tendenziell aus der Lendenwirbelsäule entsteht und deshalb der Schwerpunkt, von dem der Bogen aus sich in die Höhe entfaltet, nicht in den Brustbereichen vorzufinden ist. Indem aber der Bauch den Schwerpunkt bildet, lässt sich die Wirbelsäule noch nicht ausreichend dynamisieren und der Übende ist relativ stark in der Peripherie mit den Armen im Sinne einer Zugspannung fixiert. Diese Zugspannung lässt den Nacken nicht mehr in einem durchlaufenden und freien Fluss gewähren und es entsteht schließlich mehr das Bild eines Kreises, der durch seine eigene Fixierung sein inneres Zentrum verlagert. Die Spannung ist zu stark in der Peripherie.
Durch ein geschicktes Loslassen, verbunden mit einem schon relativ hohen Maß an Beweglichkeit in der Wirbelsäule, kann es dem Übenden gelingen, den Schwerpunkt mehr in die Mitte hinein zu verlagern und schließlich lassen sich die Oberschenkel bis hinauf zu den Kniegelenken regelrecht dynamisch hochstemmen. Der Übende liegt dann am Brustkorb und nicht mehr am Bauch auf. Sein Gleichgewicht erscheint sensibel, während sich die Peripherie mit den Gliedmaßen des Nackens und des Kopfes außerordentlich leicht und beschwingt in die aufbauende hochgerichtete Bogenform bewegen kann.
Heilwirkungen der Übung
Die Heilwirkungen dieser Übung, die sich zentral aus der Brustwirbelsäule beinwärts hinauf spannt, gewissermaßen sogar in die Höhe levitiert, ist gerade jene, dass nun die Lendenwirbelsäule von der Mitte aus, Wirbel für Wirbel, eine ungewöhnliche und neue Impulskraft gewinnt und dadurch das Knorpelgewebe dynamisierend angesprochen wird. Eine spezifische regenerative Durchblutung tritt unmittelbar in das Zwischenwirbelgewebe und den dort befindlichen Bänderzonen ein. Wie ein Bogen, makellos im Holz, erscheint die Wirbelsäule. Wäre dieser Bogen aus zu trockenem Holz geschaffen, so würde er bei Anspannung brechen und wäre er noch ganz in seinem grünen saftigen Frühjahrsholz, würde er keine Spannkraft, sondern nur ein Weichsein hervorbringen. Makellos, nicht zu trocken und nicht zu feucht, in allen Teilen in durchlaufender Dynamik, elastisch, wohl gehalten in seiner gesamten Einheit und dadurch freudig im impulsiven Schnellen, schenkt der Bogen der Wirbelsäule und den einzelnen Wirbeln die ideale aufbauende Stoffwechselversorgung.
Neben dieser heilsamen Wirkung einer durchlaufenden, von einer Mitte aus gewählten Spannkraft, werden gerade die Rückenmuskeln indirekt aktiviert und gestärkt. Die Blutzufuhr in den Organen, wie das Günther Praunger in seiner Schrift „Rhythmische Strukturen“ erwähnt, sowohl in der Leber, in den Nieren, in der Milz und im Herzen, verteilt sich nach der Ausführung des Bogens sehr harmonisch und gestaute Bezirke lösen sich, während sich weniger versorgte Organe besser integrieren. Der Lymphfluss gewinnt eine hohe durchströmende Belebtheit. Neben dieser stoffwechselharmonisierenden und stoffwechselaktivierenden Wirkung können schließlich die parasympathischen Nerven mit ihrer regenerativen Kraft außerordentlich günstig eingreifen.
Hilfestellung zum Bogen
Infolge der Schwierigkeit, die allein die unangenehme Bauchlage im Bogen mit sich bringt und in der der Übende kaum einen Zugang zur Brustwirbelsäule findet, kann eine sehr gefällige und hilfreiche Unterstützung durch einen Dritten erfolgen. Zunächst einmal markiert der Helfer oder Yogalehrer die Stelle am Rücken, die das Zentrum der Spannung zum Ausgang führen soll. Dies ist etwa die Region zwischen dem 8. und 10. Brustwirbel, das ist relativ weit oberhalb der Lendenregion. Nun probiert der Übende, sich aus eigener Kraft der Wirbelsäule hochzurichten und schiebt möglichst weit die Kniegelenke nach oben. Der Kopf bleibt nach vorne gelagert. Am höchsten Punkt der eigenständig gewählten Rückendynamik beginnt nun der helfende Lehrer den Körper nach kopfwärts zu ziehen, indem er die Knöchel ergreift. Ohne die Bewegung nach oben in die Höhe zu forcieren, sondern lediglich nach dem neuen Schwerpunkt weit kopfwärts zu ziehen, verlagert er die gesamte Kreisform des Bogens. Der Übende liegt nun am Brustkorb und sogar etwas am Brustbein auf.
Während der Lehrer die Knöchel stabilisierend für das Gleichgewicht hält, fordert er nun den Übenden auf, sich aus dem Punkt der Brustwirbelsäule beinwärts Richtung Kniegelenke aktiv hochzuspannen. Diese Dynamik gewinnt nun eine erstaunliche Zentrierung in der Wirbelsäule selbst und der Übende vermag anfangs für Momente, jedoch bald für mehrere Sekunden sich in diese grazile Levitation der Beine zu begeben. Die Wirbelsäule wölbt sich umgekehrt und ohne eine Lordose2)Lordose bezeichnet eine Krümmung der Wirbelsäule nach vorne, sie wird umgangssprachlich als Hohlkreuz bezeichnet. Die Lordose steht im Gegensatz zur Kyphose, dem Rundrücken mit kritischem Charakter zu bilden, in eine durchlaufende Aufrichtung. Der Übende spürt eine intensive Zentrierung und erstaunliche regenerative Erfrischung.
Weitere Heilwirkungen
Die wesentlichste Heilwirkung dieser Bogenstellung aus der Eigendynamik der Wirbelsäule entsteht folgendermaßen: Im Inneren der Wirbelsäule, dem Rückenmarkskanal befindet sich der Liquor oder die sogenannte Rückenmarksflüssigkeit. Diese Flüssigkeit muss im ständigen Zirkulieren bleiben. Sie stellt eine Verbindung vom Gehirn zur gesamten Wirbelsäule dar. Indem der Übende einen Zugang zur Anspannung aus der Brustwirbelsäule hinüber zu Lendenwirbelsäule und bis in die Peripherie der Gliedmaßen entwickelt, zentriert er sich außerordentlich intensiv auf einen inneren Punkt. Nicht großflächig, sondern tatsächlich punktuell entströmt die dynamische Aufrichtebewegung im Bogen. Man könnte meinen, dass nun die Muskulatur sehr intensiv zum Bewusstsein gelangt und deshalb die Bewegung exakt und lebendig in den Moment findet. Aber es bildet nun nicht die Muskulatur den Anfang der Bewegung, sondern der innere Anteil der Wirbelsäule, der sogenannte Nervenäther oder anders ausgedrückt, die Kraft, die sich im Liquor befindet und die nun wiederum wie in einem Moment der Wärme und des hervorschimmernden Strahlens die Bewegung bis in die Peripherie impulsiviert. Tatsächlich werden ab jenem Moment die Gliedmaßen wie beispielsweise die Beine, leicht, gleichsam der Schwerkraft enthoben, die Bewegung wird zentriert in ihrer Mitte, strömt hinaus an die Peripherie und bildet zuletzt den Punkt und den Kreis. Die Bewegungen, die schließlich aus der Mitte der Wirbelsäule geschehen, können die Peripherie harmonisieren und entlasten.
Der Liquor mit seinem spezifischen Gewicht einer Flüssigkeit enthebt das Gehirn zu einem hohen Grade von der Schwerkraft. Werden durch die Bewegungen im Bogen die Kräfte dieses Liquors angesprochen und der Bewegungsapparat kann sich aus seinen schweren und starren Fixierungen für Momente lösen, kann ein erstaunliches Lebenselixier von innen nach außen zum Fließen kommen. Die Kräfte der Regeneration sind deshalb aus den intensivierten Bewegungen des Flusses im Rückenmarkskanal zu interpretieren.
Bitte beachten Sie auch die Fotoserie zum Bogen und zum vollständigen Bogen, die demnächst auf dieser Seite veröffentlicht wird.
Anmerkungen
⇑1 | Der Musculus trapezius oder Trapezmuskel setzt beiderseits an der oberen Wirbelsäule an und reicht vom Hinterhauptbein bis zu den unteren Brustwirbeln und seitlich bis zum Schulterblatt. Er wird auch Kapuzenmuskel benannt. Der Musculus latissmus dorsi ist der breite Rückenmuskel, der entlang der der Wirbelsäule verläuft. Der Musculus quadratus lombarum ist einer der tiefen Bauchmuskel. Der Musculus longissimus ist der längste Skelettmuskel des Rückens, er erstreckt sich über die gesamte Länge des Rückens vom Kreuzbein bis zum Kopf. Der Musculus longissimus thoracis ist der Brustteil des länsgten Muskels |
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⇑2 | Lordose bezeichnet eine Krümmung der Wirbelsäule nach vorne, sie wird umgangssprachlich als Hohlkreuz bezeichnet. Die Lordose steht im Gegensatz zur Kyphose, dem Rundrücken |