Die Stärkung des Nervensystems durch gezielten Krafteinsatz

am Beispiel von mayurasana – der Pfau

Artikel von Heinz Grill:

Die anmutige Stellung des Pfaues, die sich entweder mehr in die horizontale Linie über dem Boden oder mit den Beinen nach oben in die Vertikale ausspannt, erfordert einen sehr punktuellen, wohl abgestimmten Krafteinsatz im Körper.

Elegant wie der Pfau seinen Federkranz hochschwingt bewegen sich die Beine in die vertikalen himmelwärtsgerichteten Lüfte. Die Stellung erfordert in der Endphase Gleichgewicht, jedoch bietet die Zentrierung in der Wirbelsäule nach kaudal eine Leichtigkeit und Enthebung aus der Schwerkraft.

Für das weibliche zarte Geschlecht ist meist die starke Tragfähigkeit mit den Armen außerordentlich schwierig zu bewältigen. Männer mit athletischen Voraussetzungen spielen sich im Gegensatz dazu recht umgänglich mit dieser Yogaübung. Beginnen jedoch die zarter veranlagten Yogapraktizierenden die Beine in elegantem Schwung nach oben zu führen, bis sie vertikal über dem Becken regelrecht himmelwärts ragen, entlastet sich der starke Krafteinsatz des Arm- und Schultergürtels und die Stellung zentriert sich in der Wirbelsäule, bis hin zum Kreuz- und Steißbein.

Würde der unterrichtende Yogalehrer, der die Stellung seinen Schülern lehrt, lediglich die in Lehrbüchern bekannte Formel wiederholen, dass die Übung stärkend auf die Verdauung wirkt und deshalb viel praktiziert werden solle, so erscheint diese Aussage noch nicht sehr zusammenhängend und weisheitsvoll.1) In vielen Lehrbüchern findet man die Pfauenstellung als gute Übung für das Verdauungssystem, da ein Druck mit den Ellbögen auf die mittleren und eventuell sogar unteren Bauchorgane ausgeführt wird. Die Bewegungsrichtung, die jedoch der sogenannte prana-Fluss, oder auch das Fließen des Äthers genannt, in der Stellung nimmt, wird heute zu wenig beachtet und deshalb entstehen einseitige Definitionen, die der Stellung nicht mehr in ganzem gesundheitlichen, ästhetischen und seelischen Umfang gerecht werden. Die Aussage ist nur ausgesprochen, imitiert, tradiert, ohne erarbeitet zu sein. Häufig werden Yogaübungen nach sehr materialistischen Schemen in ihrer Wirkung auf die Gesundheit definiert und es wird dabei übersehen, welche Zusammenhänge, Anforderungen, Spannungsverteilungen und Bewusstseinsvoraussetzungen bestehen müssen, um eine tatsächliche Effektivität und Kurativität zu erzielen. So wie man leichtfertig sagt, dass Bergsteigen in Felswänden gefährlich und Spazieren gehen auf Gehwegen harmlos ist, im gleichen Sinne prägt man heute leider die Vorstellungen über Yogaübungen und definiert ihren Gesundheitswert. Yoga sei eben gesund und jede Stellung habe eine Gesundheitswirkung, wie beispielsweise die Pfauenstellung sehr gut auf die Verdauung wirke. Dass aber diese Stellung gerade auf das Nervensystem primär und schließlich erst sekundär auf das Verdauungssystem einwirkt, ist weniger erarbeitet. Die charakteristische Frage jedoch, warum die Pfauenstellung stärkend auf das Nervensystem wirkt, ist durchaus von weitem Interesse und spannend. Sobald man ihr mit genauerer Aufmerksamkeit folgt, entdeckt man die verschiedensten verborgenen aktiv zu leistenden Bewegungen. So wie das Klettern in Wänden nicht risikoreich sein muss und das Gehen auf Gehsteigen sich unter Umständen, wenn man es nur von einer anderen Seite, wie etwa von der Luftverschmutzung her betrachtet, sogar weitaus gefährlicher sein kann, so kann die Pfauenstellung, obwohl sie eigentlich auf die Verdauung wirkt, dennoch ihre primäre Wirkungskraft im Nervensystem entfalten.

Die Pfauenstellung mayurasana fördert eine gezielte Kraftsammlung im sogenannten muladhara cakra,2)Das muladhara cakra: Es ist das sogenannte Wurzelzentrum und wird nach der Tantralehre dem Erdelement zugeordnet. In diesem Zentrum befindet sich die sogenannte kundalini shakti, die im Yoga als Schlangenkraft bezeichnet wird. Es handelt sich um ein unsichtbares Zentrum, das jedoch durch Erfahrung erlebbar und durch Hellsichtigkeit erschaubar sein kann. im untersten Energiezentrum, das sich im Kreuz- und Steißbeinbereich befindet. Dieses Zentrum gehört zu dem feinstofflichen Leib des Menschen und ist mit den sinnlichen Augen nicht wahrnehmbar. In besonderem Maße lässt es sich bei der aufgestellten Pfauenstellung von dem Praktizierenden erleben. Die Wirbelsäule „fließt“ sozusagen, beginnend von der cervikalen Region über die thorakale und lumbale Zone hinab bis zum Kreuzbein und Steißbein, das sich jedoch in dieser Stellung außerordentlich signifikant zum höchsten Punkt aufrichtet. Streckt nun der Übende in der Endphase des Aufgerichtetseins die Beine vertikal in Richtung Himmel, erlebt er diese absteigende, beziehungsweise zum Kreuzbein und Steißbein aufsteigende und sich sammelnde Bewegung auf signifikante Weise. Nahezu punktuell zentriert sich die gesamte Aktivität in diesem untersten Zentrum der Wirbelsäule.

Der Einsatz für die Stellung kann, wenn jemand über wenig Kraft in den Armen verfügt, mit einem eleganten Schwingen der Beine erfolgen. Der Übende setzt das Kinn auf den Boden und schwingt zunächst das linke Bein nach oben und gesellt sodann das andere Bein in die Lüfte hinzu. Sorgfältig auf die Balance achtend lässt er die Dynamik an der Wirbelsäule entlang in die untersten Abschnitte des Beckens fließen und setzt die Bewegung grazil, wie himmelwärts ziehend, in die Beine fort. In das Erleben rückt die punktuelle Sammlung in der Kreuz- und Steißbeinregion.

Für Momente erlebt der Übende das Verhältnis von punktuellem Krafteinsatz und vollkommener Leichtigkeit im Körper. Dieses Erleben sollte er bewusst in die Erfahrung bringen. Es ist ein hochaktives Tätigsein mit zentriertem Einsatz, bei gleichzeitigem Freiwerden von einer körperlichen Schwere. Es könnte auch mit den Worten ausgedrückt werden, dass der Übende mit dem Körper tätig ist und gleichzeitig für Momente frei vom Körper bleibt. Ein Aktivsein im Freisein drückt sich in der Endphase der Übung aus. Die punktuelle Zentrierung wirkt außerordentlich stärkend auf die sogenannten Lebensätherkräfte.3)Die Lebensätherkraft: Nach der Anthroposophie unterscheidet man vier Formen von Ätherkräften. Sie sind die Lebenskräfte, die eine spezifische Bewegungsrichtung beinhalten. Es sind dies der Wärmeäther, der Lichtäther, der Zahlenäther und schließlich der Lebensäther. Nach den Elementen kann man den Lebensäther dem Erdelement und dem ersten Chakra meist am besten zuordnen, den Zahlenäther dem zweiten Zentrum, den Lichtäther dem dritten Zentrum und den Wärmeäther dem vierten. Jedoch sind diese Zuordnungen nur wage Orientierungsangaben, die nicht ausschließlich und monistisch zutreffen. Vergleicht man die Ätherkräfte mit den sogenannten vayus, den Energien des Körpers, so kann man sagen, dass vor allem die prana-Kraft im untersten Zentrum am meisten lokalisiert ist. Der Übende fühlt sich nach der Ausführung nicht erschöpft, sondern wie mit einem Elixier von jugendlichen Kräften neu belebt. Je mehr die Lebensätherkräfte durch einen gezielten punktuellen Krafteinsatz angereichert und belebt werden, desto mehr löst sich der Übende von den sorgenbeladenen Emotionen und kraftzehrenden intellektualistischen Unruhen. Er ist aktiv und gleichzeitig von seiner äußeren physischen und psychischen Form gelöst. Die Stärkung des Nervensystems entsteht, wenn die Betonung des 1. Zentrums, das den Lebensäther beinhaltet, angesprochen wird. Der Yogalehrer, der diese Stellung unterrichtet, sollte deshalb auf die sorgfältige Einsatzleistung der Kräfte hinweisen. Leichtigkeit und direkte Anspannung begegnen sich unmittelbar in der Übung. Eine entschlossen geführte und gut vorbereitete Handlung ist wichtig. Durch den gezielten Schwung nach oben und die nach der Himmelsrichtung geführten Beine entsteht eine Bewegung in der Wirbelsäule, die gerade durch ihre Umkehrung eine Sammlung in der untersten Zone des Beckens bewirkt. Einsatz, Eleganz und Gelöstheit sind die Anforderungen, denen sich der Übende mit der aufgestellten Pfauenposition hingibt. Das Resultat dieser Aktivität führt zu einer Anreicherung der Lebensätherkräfte, die wiederum das gesamte Nervensystem entlasten und stärken.

Der Pfau ausgeführt mit einem eleganten Sprung


Zur Erleichterung und einem Kräfteersparnis in den Schultern kann der Pfau mit einem Sprung begonnen werden. Der Sprung geschieht im eleganten Schwung mit einem Bein nach oben und einem sofortigen Nachziehen des zweiten Beins.


Der aufgestellte Pfau gewinnt in der Endposition eine Schwerelosigkeit. Er strebt wie der Pfauenfederkranz durch sich selbst himmelwärts.

Der Pfau mit einem gezielten Krafteinsatz ausgeführt


Einen relativ gezielten Einsatz erfordert die Pfauenstellung ohne Schwung. Der Körper muss mit dem Kopf nach vorne hinaus gelagert werden um die Balance zu gewinnen. Werden beide Beine gleichzeitig nach oben geführt, muss der Praktizierende auf intensive Weise seinen Rücken vom Halsbereich bis hinunter zur Lende zentrieren.


In der Endstellung des Aufgestelltseins fließt die Dynamik vom untersten Rücken in die Beine und nimmt die Schwerkraft hinweg.

Die Bewegungen des Pfau mit Variationen

Auf dem YouTube Kanal YogaArte wird der Pfau im Zyklus, sowie auch in einer leichteren Variation gezeigt.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In vielen Lehrbüchern findet man die Pfauenstellung als gute Übung für das Verdauungssystem, da ein Druck mit den Ellbögen auf die mittleren und eventuell sogar unteren Bauchorgane ausgeführt wird. Die Bewegungsrichtung, die jedoch der sogenannte prana-Fluss, oder auch das Fließen des Äthers genannt, in der Stellung nimmt, wird heute zu wenig beachtet und deshalb entstehen einseitige Definitionen, die der Stellung nicht mehr in ganzem gesundheitlichen, ästhetischen und seelischen Umfang gerecht werden.
2 Das muladhara cakra: Es ist das sogenannte Wurzelzentrum und wird nach der Tantralehre dem Erdelement zugeordnet. In diesem Zentrum befindet sich die sogenannte kundalini shakti, die im Yoga als Schlangenkraft bezeichnet wird. Es handelt sich um ein unsichtbares Zentrum, das jedoch durch Erfahrung erlebbar und durch Hellsichtigkeit erschaubar sein kann.
3 Die Lebensätherkraft: Nach der Anthroposophie unterscheidet man vier Formen von Ätherkräften. Sie sind die Lebenskräfte, die eine spezifische Bewegungsrichtung beinhalten. Es sind dies der Wärmeäther, der Lichtäther, der Zahlenäther und schließlich der Lebensäther. Nach den Elementen kann man den Lebensäther dem Erdelement und dem ersten Chakra meist am besten zuordnen, den Zahlenäther dem zweiten Zentrum, den Lichtäther dem dritten Zentrum und den Wärmeäther dem vierten. Jedoch sind diese Zuordnungen nur wage Orientierungsangaben, die nicht ausschließlich und monistisch zutreffen. Vergleicht man die Ätherkräfte mit den sogenannten vayus, den Energien des Körpers, so kann man sagen, dass vor allem die prana-Kraft im untersten Zentrum am meisten lokalisiert ist.

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