Die Waage und ihre Wirkung auf das arterielle und venöse System

Artikel von Heinz Grill:

Die Rolle des Brustkorbes für den Blutkreislauf

Für eine weitere Betrachtung des venösen Rückstromes zum Herzen und hinzufügend für den arteriellen Blutkreis und seine harmonische, gute Funktionalität, erscheint es bedeutungsvoll, das Verhältnis des Brustkorbes zum Bauchraum näher zu studieren. Ist dieser Brustraum ausreichend über die Spannkraft der Wirbelsäule aufgerichtet und dynamisch, sind die mittleren Abschnitte der Wirbelsäule beweglich und ist damit der gesamte Atemvorgang ebenfalls geschmeidig, so ist eine weitaus günstigere Voraussetzung für den venösen Rückstrom des Blutes zum Herzen, als auch eine ausreichend entspannte Konditionierung der Arterien bis in die Peripherie leichter möglich.

Der arterielle Blutdruck bemisst sich hauptsächlich am gesamten Spannungszustand der Arterien und der Arteriolen und wenn diese durch nervliche Verausgabung in eine spannungsvolle Verengung gelangen, steigt der Druck im gesamten arteriellen System. Der venöse Rückstrom zum Herzen, beispielsweise aus den Beinvenen, bleibt in den meisten Fällen unberührt von den Puls- und Blutdruckverhältnissen.

Indem nun die Aufmerksamkeit bei einigen spezifischen Übungen auf das Verhältnis vom Brustkorb zum Bauchraum gerichtet und somit in den mittleren Zonen des Körpers ein geeigneter Spannungsaufbau geschult wird, können beide Systeme, sowohl das arterielle als auch das venöse, zu einem relativ hohen Grade günstig erreicht und zur Harmonisierung gebracht werden.

tuladandasana – Das Bild und die Ausführung der Waage

Die Spannung, die sich entfalten kann, sollte aus der Wirbelsäule geschult werden. Eine ganz hervorragende, erlebnisfreudige und in jeder Altersstufe nachvollziehbare Übung ist tuladandasana die Standwaage, mit der Möglichkeit verschiedener Armvariationen. Das Bild dieser Übung kennzeichnet sich durch ein starkes zentrifugales Ausgleiten der Gliedmaßen in eine lange horizontale Formung. Der Körper wirkt in verschiedenen Abschnitten der Wirbelsäule aktiv, während die in der Horizontalen gehaltenen Gliedmaßen nicht unmittelbar in Eigenspannung gehalten bleiben, sondern sich in einem der Mittenspannung entsprechendes fortgesetztes Fließen befinden. Ein Zentrum und eine Peripherie entwickeln sich von der Wirbelsäule hinüber zu den Gliedmaßen.

Der Übende begibt sich mit dem rechten Fuß sicher auf den Boden, schwingt das linke Bein gestreckt nach vorne aber schließlich nach hinten und wenn es ihm möglich ist, bis in eine horizontale Linie, gleitet mit den Armen wie Schwalbenflügel zurück und atmet dabei leicht, fließend und frei im Rhythmus. Nach dieser ersten schwalbenähnlichen Position, führt er die Handflächen zusammen und öffnet dadurch seinen Hals- und Schulterraum. Grundsätzlich bleibt der Nacken durchlässig und entspannt.

Mit dieser Bewegung erspürt der Übende das Verhältnis von dem ganz leicht angehobenen, oberen Brustraum zum dynamischen, mittleren und unteren Rücken. Eine Spannkraft im Durchhalten dieser Stellung, für etwa 15 Sekunden, bildet sich mit etwas Übung aus. Die Zentrierung im unteren Rücken geschieht notwendigerweise, da das linke Bein in der horizontalen Streckung gehalten wird. Das Standbein sollte stabil und aktiv in der Kraftumsetzung der Übung erlebt werden. Je günstiger die Zentrierungen in der Wirbelsäule, im Standbein bis zum Becken und bis zum unteren Ansatz der Brustwirbelsäule möglich sind, desto leichter gleitet das Bein in die horizontale Ausdehnung. Die sanfte Anhebung und Offenheit des oberen Brustkorbes geschieht auf natürliche Weise und der Übende erfreut sich einer, in der Spannung erlebbaren, offenen Körperempfindung.

In einem nächsten Schritt führt der Übende die Arme am Körper seitlich vorbei und über den Kopf gestreckt hinaus. Der Schultergürtel sollte nicht zu sehr fixiert sein und die Arme behalten eine Art flügelhafte Leichtigkeit, die ab jenem Moment, ab dem sie nach vorne Hinausgleiten, den Brustkorb automatisch in die Länge ziehen. Der ganze Körper ist nun aus der Mitte heraus und durch feine Anziehung der Gliedmaßen auf maximale Weise in die horizontale Linie ausgedehnt. Der Atem schwingt im freien Rhythmus und der Übende nimmt sowohl die Spannung in sich im Beckenbereich und in der Wirbelsäule, wie auch die anziehenden und doch ausfließenden Gliedmaßen wahr. 10 bis 15 Sekunden sollte die Übung in dieser horizontalen Linie gehalten werden.

Das Zurückkehren erfolgt nun nicht durch plötzlichen Abbruch, sondern durch ein geschmeidiges, gut geführtes Zurücknehmen der Arme und auch des Beines. Noch bleibt aber der Übende auf dem Standbein balancierend stehen und schwingt das linke Bein am Stand vorbei nach vorne, bis er es schließlich auf dem Boden absetzt. Durch diese solide Führung der beschließenden Phase entwickelt sich eine angenehme und harmonische Spannungsreduzierung mit relativ hohem, regenerativem Wert.

Die gesundheitlichen Wirkungen der Waage

Geistig gesehen werden mit dieser Übung das zweite, das dritte und das vierte Zentrum harmonisch miteinander kombiniert. Das zweite Zentrum bildet eine sammelnde Kraft im Bereich des Kreuzbeins und Beckens und führt allgemein zu einer Beruhigung der vegetativen Nerven. Es festigt und ermöglicht vielseitige dynamische Ansätze in den Beinen, die, wenn sie ausgeprägt sind, das allgemeine venöse System im Flusse ätherisch anregen. Das dritte Zentrum ermöglicht Raum und dieses Empfinden des dritten Zentrums, einerseits mit seiner Spannkraft und Dynamik, andererseits mit seinen weiten, angenehmen Atemprozessen und offenen Gefühlen, lässt das arterielle System entspannt bis in die Peripherie zirkulieren. Die Weite der Atmung führt fast immer zu einer Harmonisierung des Pulses und Blutdruckes. Diese Harmonisierung ist sowohl anregend auf einen niedrigen Blutdruck, als auch verblüffenderweise in hohen Graden senkend auf den noch nicht manifesten Hochdruck. Das vierte Zentrum schließlich harmonisiert und schenkt eine angenehme Empfindung der Wahrnehmungsprozesse nach innen zum Körper, wie auch nach außen zur Umwelt. Es wirkt allgemein stärkend und im besonderen Maße auf den venösen Rückstrom durch eine feine Ätherisierung erbauend.

Die Ausdehnung beinwärts, in das dynamisch hoch gehaltene Bein, insbesondere mit dem intensiv aufgerichteten Standbein, aktiviert Ätherkräfte im Hüft- und Beckenbereich, man könnte auch nach yogischer Terminologie sagen, ein „prana“ und „samana“, die dem Versacken des Blutstroms entgegenwirken und das Gewebe selbst positiv stimulieren. Es wird einer Bindegewebsschwäche entgegengewirkt. Das Hinausgleiten der Arme und leichte Anheben des Brustkorbes führt zum Raumgewinn auf der Höhe des Zwerchfelles und der Übende erweitert sich in seiner Atemkapazität mit der Folge, dass das gesamte Zirkulationsleben leichter aus einer drückenden Schwere enthoben und in ein günstigeres Gesamtniveau gebracht wird. Der Raumgewinn zwischen Brustkorb und Bauch wirkt zudem erfrischend und schenkt befreiende Gefühle.

Die Übung sollte auf beiden Seiten erfolgen und kann beliebig oft zur Wiederholung gelangen.

Die Waage – tuladandasana

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