Initiation – die spirituelle Einweihung zum höheren Selbst

Von Heinz Grill

Dieses Bild aus einem Evangeliar aus dem Jahre 1020 stellt die Taufe des Jesus durch Johannes dar.
Foto: Wikimeida Commons

Der Begriff Initiation bedeutet den Beginn einer Entwicklung, die ein spezifisches Ziel erstrebt. Die verschiedensten Mysterienstätten des Altertums und die spirituellen Schulen der Neuzeit führten oder wollen ihre Schüler zu bestimmten seelisch-geistigen Erfahrungen und Erkenntnissen führen. Die Methoden, wie Initiationen verbal oder nonverbal, rituell oder mit bestimmten technischen Bewusstseinsinhalten verlaufen, sind sehr unterschiedlich. Die Sakramente, die die Kirche spendet, wie die Taufe oder sogar die Eucharistiefeier, wären ihrem klassischen Sinne nach Initiationsrituale, die den einzelnen Menschen mit der seelisch-nachtodlichen und der geistigen Welt verbinden sollen. Heute jedoch bieten die Sakramente der Kirche lediglich einen äußeren Erinnerungsakt an ein ehemaliges tieferes Wahrnehmen und Erfahren eines wirklichen existierenden Geistes.

Die Johannestaufe, die am Jordan durch den Täufer stattfand, war früher eine große und bedeutungsvolle Initiationsleistung. Der vorbereitete Schüler wurde von Johannes dem Täufer so lange unter Wasser gehalten, bis er das Bewusstsein verlor und in ein Erleben des seelischen, körperfreien Wahrnehmens gelangte. Nach einigen Minuten wurde der Aspirant wiederbelebt und neu für das kommende Leben ausgerichtet. Durch das Nahtoderlebnis und die Trennung, die die Seele vom Körper für eine kurze Phase erlebte, öffnete sich für die meisten Getauften ein Blick in die jenseitige nachtodliche Welt und so waren sie mit der Erfahrung bereichert, dass die Seele nicht mit dem physischen Leibe zugrunde geht, sondern eine weiterführende Daseinsberechtigung besitzt. Je nachdem, wie hoch die Ziele des Aspiranten für die Taufe im Jordan angesetzt waren und wie gut er sich vorbereitet hatte, konnte er sogar einige Phasen dieses nachtodlichen Lebens bewusst deuten und verarbeiten. Die Mehrheit der Getauften aber kannte noch nicht die Gesetze, wie sie im Nachtodlichen wirklich eintreten, sie besaßen aber die Erfahrung des Weiterlebens der Seele nach dem Tode.

Heute würde diese gezielt herbeigeführte Grenzerfahrung und das Hindurchgehen eines todähnlichen Zustandes keine rechten Früchte erzeugen und somit wird diese Form der Einweihung nicht mehr praktiziert. Das Ziel der Gegenwart ist es, dass die Initiation von Mensch zu Mensch durch die Authentizität des Geistes getragen wird. Wenn ein Lehrer aus vollkommener authentischer Erfahrung geistige Gesetzmäßigkeiten, wahre spirituelle Gedanken und Einsichten in die nachtodliche Welt mitteilen kann, spüren die Zuhörer die Authentizität der Worte und bemerken darüber hinaus eine feine unsichtbare und doch wahrnehmbare spirituelle Sphäre. Authentizität bedeutet, dass das gesprochene Wort, die Handlung und die Person miteinander eins sind. Die Worte zusammen mit der Person offenbaren nicht nur äußeres Wissen, angelernte methodische Rhetorik oder schön schwingende Gefühlserwartungen, sie eröffnen dem Zuhörer, wenn auch vielfach noch recht unbewusst, einen feinsinnigen Blick in die lebendige Sphäre des Selbstwerdens und der Wahrheit einer geistigen Erkenntnis.

Die Verantwortlichkeit in der spirituellen Initiation

Bei der traditionellen Yogaeinweihung wird vom Meister auf den Schüler eine Energie übertragen. Der Daumendruck des Meisters auf die Stirn des Schülers drückt aus, dass fortan der Wille des Meisters oder allgemein ein höherer Wille im Schüler wirksam sein soll. All diese Formen der Einweihung werden grundsätzlich bei mir nicht praktiziert, da es sich hier um Begegnungen ohne Rituale in einem größtmöglichen freien Verhältnis handelt.
Foto: T.L.Kelly, Ausschnitt, Lizenz: Wikimedia Commons

Es gibt eine durchaus sehr berechtigte Kritik, die meiner Person gegenüber recht häufig vorgebracht wird. Sie lautet im allgemeinen, dass die Gedanken und Inhalte, die in Kursen von mir gelehrt werden, keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmt sein dürfen, denn sie bewirken bereits nach wenigen Tagen der Übung starke Veränderungen bei Teilnehmern und diese können im weiteren Verlauf ihres Lebens nicht mehr auf die übliche Weise, wie sie es bislang gewohnt waren, mit den Emotionen des Daseins umgehen. Sie lösen sich von ihrer Vergangenheit. Es fehle, so die Kritik, dem Menschen die Reife für die weitere Gestaltung des Lebens mit den neu erworbenen spirituellen Inhalten.

Diese Kritik ist sicherlich vom natürlichen Standpunkt einer weltlichen Sicht berechtigt. Ganz besonders ist sie sogar logisch, wenn ein Teilnehmer sehr unvorbereitet und ohne genaueres Abgestimmtsein in die Seminare und Veranstaltungen kommt. Vielleicht haben ihn Dritte hierzu überredet oder sogar forciert, an einer Veranstaltung, an der ich unterrichte, teilzunehmen. Der Eindruck des Geistes hinterlässt bei allen, gleich ob sie es bewusster oder auch unbewusster erleben, tiefe Spuren und somit tritt die Initiation in ersten Zügen in ihre Geburt. Der Einzelne weiß, dass er einer Wahrheit gegenübergetreten ist und diese weilt nun in seiner Seele, sie wartet auf Verwirklichung, auf eine eigenständige Ausarbeitung und Ausdrucksgebung, sie ist wie ein Same, der zu keimen und zu wachsen beginnen will. Infolge der Tatsache, dass die Bedingungen des Lebens heute sehr geistunfreundlich, wahrheitsfeindlich und auf Veränderungen bezogen sehr reserviert sind, geraten viele mit meiner Person und mit den gelehrten Inhalten in einen Konflikt. Anstatt neue Gedanken, Überlegungen und Perspektiven anhand der spirituellen Inhalte zu entwickeln und zu erarbeiten, entfachen sich Projektionen, unselige Diskussionen, Schuldzuweisungen und Aggressionen. Der Einzelne beginnt im schlechtesten Fall dasjenige zu hassen, was er in seiner Entwicklung aufgesucht hat und all dasjenige zu verteidigen, das er als Illusion in seinem Leben mit Bindungen und Abhängigkeitsmustern pflegt. Der Geist sei zuletzt schuldig und vom Standpunkt des rein materiell behäbigen Daseins, der sich all seiner illusionären Bindungen bedient, ist diese Form der Anschuldigung sogar richtig. Gäbe es keinen authentischen Geist in der Welt, so könnten sich die unseligen Emotionen mit ihrem bindenden, vereinnahmenden Charakter wie Wucherwachstum verbreiten. Der Geist ist an allem Schuld, spricht das Bindungsgefühl des Menschen. Es sollte deshalb im Sinne der Aufklärungsarbeit für Seminare und Schulungen, die den Charakter von Initiation tragen, unbedingt eine sachliche und ausreichend fachliche Beschreibung für spirituelle Entwicklung, wie sie mit ihrem Initiationscharakter stattfindet, von all denen erfolgen, die das unterscheidende Wissen über bleibende und vergängliche Werte erworben haben. Die heutige Zeit müsste so weit zu Offenheit ausgerichtet sein, dass sich Initiationsarbeit nicht im einsamen Ashram, im Kloster oder gar in den Katakomben verstecken muss, sondern dass sie ein Teil der Weltschöpfung werden kann. Offene Gespräche wären hierzu besser, als vereitelnde und eitle Geheimnistuereien, die gerade aber in spirituellen Schulen zu sehr als negative Erscheinung leben.

Die langsame, stufenförmige Annäherung zu Spiritualität und Initiation

In vier Stufen lassen sich unterschiedliche Entwicklungsschritte benennen:

1.

Eine erste und sehr unkomplizierte Art steht allen Interessierten und Beteiligten, Angehörigen von Yogalehrern und Kulturbesuchern offen. Es können beispielsweise die Gebäude mit ihrer Architektur besucht werden und ein unkompliziertes Kennenlernen von Naone, den Personen und eventuell den Kulturgewohnheiten findet statt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Tiefenwirksamkeit tritt noch nicht in die Erkraftung. Der Besucher lernt die Ausdrucksformen des Geistes kennen, aber er bleibt den Studieninhalten und tieferen Geheimnissen noch fern. An der äußersten Oberfläche kann er sich Vorstellungen über das geistige, schöpferische Potenzial, das die verschiedenen Erscheinungen zum Vorschein gebracht hat, bilden.

2.

Mit wachsendem Interesse kann ein Interessierter ein Buch studieren und schließlich an einer oder sehr wenigen Unterrichtseinheiten teilnehmen. Er bleibt bewusst zurückhaltend und somit sind die Fragen der Verantwortung gegenüber einer geistigen Entwicklung recht unverbindlich. Leise jedoch erahnt er, dass er dennoch sein Leben langsam tiefgründiger und bewusster gestalten müsse.

3.

Eine dritte Stufe beginnt mit dem Einschreiben in einen Studienkurs der Spiritualität. Der Übende will ab diesem Moment eine größere Verantwortung übernehmen und er will nicht mehr lediglich von außen auf die Geheimnisse des Daseins blicken, sondern sich in diesen im wachsenden Maße gründen. Sein Anliegen ist nun höhere Erkenntnisse ausreichend zu erfahren und diese im sozialen Leben meisterhaft mit großer Ausstrahlung und natürlicher Empathie umzusetzen. Er will nicht nur Initiation kennenlernen, empfangen, sondern Geistinhalte auf reale Weise in das Leben manifestieren.

4.

Eine vierte Stufe kann noch eine Steigerung zu der dritten geben. Sie trifft für all jene zu, die ausführliche Ausbildungsinhalte zu Yoga empfangen haben und einen vollkommenen Neuanfang für ihr Dasein wählen. Wer einige Jahre die Geistinhalte bei mir in der Schule studiert hat, muss sich beispielsweise meiner Kritik unterziehen, denn er darf sich keine größeren Fehler auf dem Schulungsweg, wie beispielsweise falsche Interpretationen von Geistinhalten oder schlechte Lebensgewohnheiten, leisten. Würde jemand, der Geistschulung bis auf diese Stufe geführt hat, in die politische Szene wechseln und dort parteiliche Überzeugtheit mit allem oberflächlichen Weltverbesserungsbegehren tätigen, so würde er den Geistgesetzen nicht gerecht werden und sogar das Gegenteil von Liebe, Weisheit, Schönheit und wahrer geistiger Verbundenheit predigen. Damit sich auf dem Wege der Verwirklichung zum höheren Selbst keine großen Fehler mit schwerwiegenden und weit ausstrahlenden Wirkungen manifestieren, müssen sich Schüler zur Annahme von Kritik verpflichten und das Wort des Lehrers ernst nehmen. Infolge der Tatsache, dass viele im entscheidenden Moment die Worte eines Lehrers relativieren oder sogar völlig verneinen, missbrauchen sie die Geistschulung und manifestieren Gegenbilder mit zerstörenden, machtvollen Auswirkungen. Der Einzelne muss sich in ganzer Ernsthaftigkeit auf dieser Stufe zu einem wahren Selbst mit klaren Fähigkeiten, universaler Liebe, Gewaltfreiheit und Weisheit verpflichten.

Die Menschheit steht an einer Schwelle und braucht Initiation

Eine bildhafte Beschreibung dieser alten vorchristlichen Einweihung, bei der der Adept für eine bestimmte Zeit in einen todähnlichen Zustand versetzt wurde, ist die Jona-Geschichte aus dem Alten Testament. Jona wurde ins Meer geworfen und von einem Wal verschluckt, in dessen Bauch er drei Tage und Nächte verbringt, bis er wieder ausgespuckt wird.1) Rudolf Steiner spricht in einem Vortrag in Basel von 1909 hierzu:: „Das ist die alte Art, zur Initiation zu kommen, zuerst seine Seele reif zu machen, alles vorzubereiten, was die Seele reif machen kann, dann durch dreieinhalb Tage hindurch in einen Zustand gebracht zu werden, in welchem man völlig der äußeren Welt entrückt ist und auch den Werkzeugen, mit denen man die äußere Welt wahrnimmt. Daher wurden die, welche in die geistige Welt hinaufgeführt werden sollten, zuerst sorgfältig vorbereitet; ihre Seele wurde zum Erkennen des geistigen Lebens präpariert. Dann wurden sie durch dreieinhalb Tage der Welt entrückt und dazu an einen Ort gebracht, wo sie auch durch ihre äußeren Sinne nichts wahrnehmen konnten, wo ihr Körper in einem todähnlichen Zustande war, und nach dreieinhalb Tagen wurden sie wieder auferweckt; da wurde ihre Seele wieder in den Körper zurückgerufen. Dann waren solche Menschen fähig, sich an das, was sie als Anschauung der höheren Welten empfangen hatten, zu erinnern und selber von den geistigen Welten zu künden. Das war das große Geheimnis der Initiation, daß die lange vorbereitete Seele durch dreieinhalb Tage aus ihrem Körper herausgeführt wurde in eine ganz andere Welt; da war sie abgeschlossen von der äußeren Welt und drang in die geistige Welt ein. Immer gingen unter den Völkern solche Menschen herum, die Verkünder der geistigen Welt sein konnten; sie waren es, die das durchgemacht hatten, was in der Bibel angedeutet wird als das Ruhen des Jonas im Walfisch (Jon 2,1 LUT).

Eine neue Art der nachchristlichen Einweihung, bei der der Adept nicht mehr in einen todähnlichen Zustand versetzt, sondern durch das lebendige Wort in die Erfahrung einer höheren Wirklichkeit eingestimmt wird, wird schließlich im Lukasevangelium mit den Worten angedeutet: „Ich sage euch aber wahrhaftig: es sind einige unter denen, die hier stehen, welche den Tod nicht kosten werden, bis sie die Reiche der Himmel sehen“ (Lk 9,27 LUT).

Bild: Russische Ikone

Wer beispielsweise zu mir in eine Schulung in wiederholtem Maße kommt, merkt unweigerlich, wie manche Bindungen des Lebens leer werden und Illusionen, die er sich über Selbstverwirklichung zurechtgerichtet hat, dahinschwinden. Wie viele Menschen jagen heute einer Yogaverwirklichung hinterher, die es gar nicht gibt oder einer Erleuchtung, die keine inhaltliche wahre Seinssubstanz in sich beherbergt? Durch Initiation steht immer ein Neuanfang bevor. Dieser entwickelt sich einmal in der Begegnung mit meiner Person und zum weiteren in Studium von Geistinhalten, die auf tragfähige Weise mit Weisheit in das Leben eingebracht werden sollen. Wie könnte auch jemand ein bisheriges altes Bindungsverhalten loslassen, wenn er nicht sein Seelenleben auf festem und soliden Grund durch hinzukommende und wirklich gelernte Geistinhalte errichtet? Die Tatsache, dass sehr viele Menschen die vielen Krankheiten und Leiden, Konflikte und Missgeschicke nicht überwinden können, liegt daran, dass sie im Geist- und Seelenleben und sogar meist auch auf der irdischen Basis keinen wirklichen vernunftgeprägten Inhalt zu einem neuen Horizont erschaffen haben. Es ist, wie wenn man in ein fremdes Land streben würde und dennoch versäumt hat, die dort anwesende Sprache zu erlernen.

Die Menschheit benötigt heute einen wirklichen Neuanfang und dieser kann im weitesten Sinne nur mit spirituellen und gültigen Wahrheiten, die zur Manifestation kommen, ihren realen Ausdruck finden. Eine gute und solide Meditationsgrundlage wäre heute für die ganze Menschheit angezeigt. Wenn ein Patient zum Arzt geht, fragt der Arzt, was dem Patienten fehle, und der Patient spricht im Gegensatz zu dieser Begrifflichkeit: „Ich habe Beschwerden am Bewegungsapparat.“ Die künstliche Intelligenz, einseitige Materialisierung, die vielen sich verbreitenden Angstbotschaften und die völlig aufgelöste Sphäre eines realen Beurteilungsvermögens führen sich auf einen Mangel im Seelen- und Geistleben zurück. Der einzelne Mensch hat und muss ein Problem mit der Zeit und den Zeitbedingungen haben und er muss sich unweigerlich wie ein kranker Bürger fühlen. Die Menschen brauchen heute unbedingt Geistinhalte, die sie zu einer Reife bringen und schließlich zu einem ausstrahlenden Wirkungsfeld in ihrer Umgebung weiterentwickeln.

Die Initiation zu einem höheren Selbst zeigt sich beispielsweise in der Fähigkeit, wie der Einzelne eine Wahrheit durch sein Bewusstsein vollkommen beherrscht und diese kommunizieren kann. Des Weiteren äußert sich die Kraft des Selbstes darin, dass dieses nicht Menschen entzweit, sondern viele miteinander verbinden kann und Polaritäten besänftigt. Wenn ein Lehrer sein Fachgebiet zutiefst beherrscht und gleichzeitig die pädagogische Geschicklichkeit entwickelt hat, den Schülern geordnet und in klarer, lehrüberzeugender Form zu begegnen, legt er einen Schatz in den Herzen an. Er initiiert durch seine Weisheit und seine pädagogische Klarheit. Gerechtigkeit und Bewusstheit entstehen durch diese Art Initiation im einzelnen Schüler.

Es werden für die Zukunft jene Menschen dringendst gebraucht, die den Mut aufbringen, Weisheiten der höheren Welten so lange zu studieren, bis sie diese sozialfähig und flexibel nach außen mitteilen oder zumindest im Stillen ihrer Seele ausstrahlen können. Dogmatismus, missionarische Übereiferei und emotionale schwärmerische Propaganda stehen jeder Initiationsschulung konträr entgegen und zeigen nur, dass die wesentlichsten Inhalte weder bearbeitet noch richtig ernsthaft im Dialog erprobt wurden.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Rudolf Steiner spricht in einem Vortrag in Basel von 1909 hierzu:: „Das ist die alte Art, zur Initiation zu kommen, zuerst seine Seele reif zu machen, alles vorzubereiten, was die Seele reif machen kann, dann durch dreieinhalb Tage hindurch in einen Zustand gebracht zu werden, in welchem man völlig der äußeren Welt entrückt ist und auch den Werkzeugen, mit denen man die äußere Welt wahrnimmt. Daher wurden die, welche in die geistige Welt hinaufgeführt werden sollten, zuerst sorgfältig vorbereitet; ihre Seele wurde zum Erkennen des geistigen Lebens präpariert. Dann wurden sie durch dreieinhalb Tage der Welt entrückt und dazu an einen Ort gebracht, wo sie auch durch ihre äußeren Sinne nichts wahrnehmen konnten, wo ihr Körper in einem todähnlichen Zustande war, und nach dreieinhalb Tagen wurden sie wieder auferweckt; da wurde ihre Seele wieder in den Körper zurückgerufen. Dann waren solche Menschen fähig, sich an das, was sie als Anschauung der höheren Welten empfangen hatten, zu erinnern und selber von den geistigen Welten zu künden. Das war das große Geheimnis der Initiation, daß die lange vorbereitete Seele durch dreieinhalb Tage aus ihrem Körper herausgeführt wurde in eine ganz andere Welt; da war sie abgeschlossen von der äußeren Welt und drang in die geistige Welt ein. Immer gingen unter den Völkern solche Menschen herum, die Verkünder der geistigen Welt sein konnten; sie waren es, die das durchgemacht hatten, was in der Bibel angedeutet wird als das Ruhen des Jonas im Walfisch (Jon 2,1 LUT).

Eine neue Art der nachchristlichen Einweihung, bei der der Adept nicht mehr in einen todähnlichen Zustand versetzt, sondern durch das lebendige Wort in die Erfahrung einer höheren Wirklichkeit eingestimmt wird, wird schließlich im Lukasevangelium mit den Worten angedeutet: „Ich sage euch aber wahrhaftig: es sind einige unter denen, die hier stehen, welche den Tod nicht kosten werden, bis sie die Reiche der Himmel sehen“ (Lk 9,27 LUT).

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