Eine differenzierte und gegliederte Bewusstheit
verhindert Zelldegenerationen und steigert die Immunabwehr
Artikel von Heinz Grill
Das Sonnengebet wird im Yoga meist am Anfang einer Übungsreihe praktiziert und dient mit seinen dynamischen zwölf Bewegungen der rhythmischen Erwärmung des Körpers, sodass sich dieser für die weiteren oftmals dehnkräftigen Übungen ausgleichend tonisiert. Wenig bekannt sind in der allgemeinen Yogaszene die verschiedenen Möglichkeiten eines sehr differenzierten und aufgegliederten Anspannens, die gerade durch ihre exakte und makellos gewählte Aktivität eine ausgesprochene Bewusstheit der Beobachtungsfähigkeit gegenüber dem Körper und seinen einzelnen Wirbelsäulenabschnitten ermöglicht.
Das Sonnengebet wird in der Regel im rhythmischen Aufbau von beginnenden langsameren Runden zu immer schneller werdenden Einsätzen der einzelnen Bewegungen praktiziert. Am Anfang dauern die zwölf Übungen etwa eine halbe Minute bis 45 Sekunden, schließlich aber kann der Übende die Geschwindigkeit steigern und seinen Kräfteeinsatz gezielt auf bestimmte Partien ausrichten. Er übt die zwölf Teilbewegungen manchmal sogar in einem rhythmischen Fluss des Wechsels von Entspannung und Anspannung innerhalb von fünfzehn Sekunden.
„Eine Übung machen“ im Gegensatz zu „eine Übung gestalten“
Sehr wichtig für die Aktivierung des Immunsystems durch gezielte Bewegung und Atmung erscheint das Beteiligtsein eines spezifisch gewählten Wahrnehmens und gedanklichen Bewusstseins. In einfachem Sinne können die beiden Bezeichnungen „das Sonnengebet machen“ oder „das Sonnengebet gestalten“ den Sinngehalt, wie das Bewusstsein gegenüber dem Körper gebraucht wird, darlegen. Der Übende will die Übung machen, damit er vielleicht einen gewissen Gewinn für die Intaktheit seines Kreislaufes oder für die Wirbelsäule erreicht. Es ist dann das surya namaskara mehr eine Art Fitnessübung, die sich mit der mentalen Ausrichtung nicht von einem Training, wie man es im Sport kennt, unterscheidet.
Die Bewusstheit des Gestaltens fühlt sich mehr nach einer künstlerischen Aktivität an, die mehr die Fantasiekräfte, die Vorstellungsfähigkeit, die Beobachtung und die kreative Intuition beansprucht und in letzter Konsequenz eine Schönheit als Ergebnis generiert. Der eigene Körper lässt sich durch die Idee, die der Übung des Sonnengebetszyklus zugrunde liegt, das ist die Bewegung von innen aus der Mitte im gestaltenden Wechsel, weiterentwickeln und in all seinen Gliedern durchgestalten.
Die differenzierte Aktivierung der Wirbelsäule
In ganz besonderem Maße eignet sich surya namaskara für eine Gliederungsarbeit der Brustwirbelsäule und schließt andere Teile des Körpers, wie die Hüften oder Schultern in das Bewegungsspiel mit ein.
Ein rhythmisch sich wiederholendes wechselseitiges Anspannen, das mit weiten Atemzügen mit jeder Bewegung verbunden ist, führt neben der Durchwärmung zu einem besseren Krafteinsatz in der Mitte des Körper, der zentrifugal ausströmt, das heißt von innen nach außen und schließlich einen spürbarer Energiefluss bis an die Peripherie und Haut aussendet.
Zunächst kann der Übende darauf achten, dass er den Nacken, das Gesicht und die Schultergelenke bei den einzelnen Bewegungen entspannt lässt, die Beine abwechelnd in eine einmal einsinkende und ein andermal standfeste Dynamik führt und in den jeweiligen Einzelbewegungen gezielt denjenigen Wirbelsäulenabschnitt kraftvoll aktiviert, der die Bewegung maßgeblich in die Länge und Weite führen kann. Verschiedene Zonen sind deshalb entspannt, während andere sich gezielt dem Spannungsaufbau widmen. Des weiteren gibt es in den Gliedern eine natürliche Ausströmung und Fortsetzung dieses von innen heraus motivierten und getragenen Bewegtseins. Der Übende achtet deshalb gezielt auf das innerleibliche Verhältnis einer Gliederung in den Spannungsbezügen und entwickelt die Ausdehnungen Runde für Runde auf ein besseres und neues Niveau. Am Anfang fühlt sich der Körper ungegliedert und steif an, am Ende jedoch entsteht ein Empfinden von dynamischer Mitte, einem entspanntem Oberkörper und einer sich bis in die Peripherie tragenden ausgleitenden Bewegung.
Der gezielte Krafteinsatz, der in der Wirbelsäule meist in den mittleren Brustbereichen, etwa vom zehnten bis hinauf zum zweiten Brustwirbel erfolgt, führt zu einer wachsenden Konzentration und einer Belebung der oftmals so vergessenen, totgewordenen mittleren Zonen. Wie viele Menschen finden keinen Zugang zu einem dynamischen Einsatz der Brustwirbelsäule? Sie erleben in diesen Bereichen häufig Steifheit und eine Herabminderung von Sensibilität. Neben einer Schwächung der Interkostalräume und der Atemmuskulatur schränkt sich das Atemvolumens ein und es werden infolge dieser rigiden Verhältnisse das Kreislaufleben und der Lymphfluss einseitig blockiert.
Indem der Übende eine differenzierte Aktivierung in die Brustwirbelsäule mit einem wachsenden Krafteinsatz zur dynamischen, zentrifugal angesetzten Anspannung leistet, gestaltet er seinen Körper regelrecht wie ein Musikinstrument und führt in die herausfallenden, dunkel werdenden Zonen eine neue Bewusstheit hinein. Er reintegriert die physische Schwere mit lichten wahrnehmenden Bewusstseinskräften und steigert auf diese Weise seine natürliche Immunkompetenz. Die Gestaltungskräfte, die jene Zonen reintegrieren, die aus dem natürlichen Lebenkräfteverhältnis durch eine zunehmende verhärtende Spannung herausfallen, können durch den einzelnen Menschen wieder belebt werden und sie können dadurch Quellen einer lichteren Empfindung eröffnen.
Allgemein bewirkt das heutige Leben mit seinem mechanistischen Weltbild eine zunehmende Verhärtungstendenz des Körpers und eine Verödung des seelischen Lebens. Es ist verständlich, dass die Immunkräfte des Menschen im ständigen Abbau begriffen sind und viele Krankheiten wie die der Tumorbildung schleichend warten. Welche Zonen aber befällt der Tumor? Es sind diejenigen Teile des Körpers, die aus dem lebendigen Zusammenhang herausfallen und plötzlich in eine unorganisierte und überhand nehmende falsche Lebensbehauptung, das heißt in eine Wucherung, verfallen. Trägt nun der Übende eine Bewusstheit in seinen Körper hinein, gestaltet und aktiviert er wie am Beispiel des surya namaskara die Brustwirbelsäule, so kann er gesunde, lichte Einflüsse fördern und auf dieser Grundlage einem Degenerieren entgegenwirken. Zudem kann Bewegtheit mit Bewusstsein Freude erzeugen und gegen die so schwer lauernden Depressionen ein kleines Gegengewicht setzen.
Die praktische Ausführung einer gegliederten
und differenzierten Bewusstheit im Sonnengebet
Die folgenden Bilder zeigen wie und in welchen Abschnitten ein dynamisches Element zur Aktivierung gebracht werden kann. Der Übende beobachtet die Zonen, er spürt die Verhältnisse und entwickelt langsam einen Sinn für die rechte und differenzierte Spannungsverteilung.
Ein aktives Durchspannen in bestimmten Wirbelsäulenabschnitten für kurze Momente, vor allem nach oben zur mittleren und höheren Brustwirbelsäule, sollte durchaus mit jeder Runde des Sonnengebetes in wachsendem Maße erfolgen.
Langsamere und schnellere Zyklen können sich gegenseitig ergänzen. Die Atmung sollte stets weit und aktiv genug sein.
Es ist günstig, wenn der Übende nicht nur Spannung entwickelt, sondern zwischen den Phasen sich frei von jeglicher Anspannung in Momente des ruhigen Wahrnehmens begibt und schließlich aus diesem Beobachten die nächste Aktivierung leistet.
Die Stärkung des Immunsystems
Eine Immunstärkung entsteht immer, wenn der Übende seine Bewusstseinskräfte mit klaren Vorstellungsinhalten gebrauchen lernt und diese gegenüber einer Sache oder, in dem Fall wie es dem surya namaskara entspricht, anwenden lernt. So wie es meist bei einem durchschnittlich trainierten Menschen viele Zonen im Körper gibt, die wie unbewusst und ungenützt gewissermaßen das Leben begleiten, existieren im gleichen Maße viele Emotionen und psychische Unbedachtheiten, die das Leben mit einer dunklen Last beschweren und deshalb vom Immunsystem mit seiner wahrnehmenden, integrierenden und abwehrenden Tätigkeit nicht mehr ergriffen werden. Der Bewusstseinsprozess des Gestaltens in Form von angewendeten, methodischen Gliederungen und Differenzierungen, kann erste Erfahrungen einer Durchlichtung und Durchwärmung der Körperzonen ermöglichen und darüberhinaus die menschliche Psyche zu einer größeren und tragfähigeren Spannkraft aktivieren.
Es ist deshalb wichtig, dass Yogaübungen heute nicht nur in funktionaler Gymnastik betrieben werden, sondern diese zum Aufbau des seelischen Empfindens, geordneten Denkens und zuletzt eines gezielteren Handelns wahrgenommen werden.
lieber heinz grill,
die gestaltung ihrer schmalen broschüre mit dem titel „das erleben des rückens“
war es, die mich im kleinen ladengeschäft „sonnengruss“ hier in der klarastrasse ansprach und aufmerksam werden liess für den menschen, der seinem tun eine solche fassung zu geben versteht.
ich fühle mich beschenkt. haben sie dank dafür.
ihre ermutigung zum spüren, zum schauen und lauschen wirkt lösend.
wie geduldig sie zu beobachten verstehen!
ich werde stiller und fange erneut an zu üben.
mit freundlichen grüssen aus freiburg im breisgau – elke kristin abraham