Die Annäherung des Yoga an die Wissenschaftlichkeit
Otto Albert Isbert zitierte in seiner Schrift „Yoga – Arbeit am Selbst“ Dr. Mohan Singh mit folgenden Worten: „Laßt den Westen Yoga annehmen und ihn dem Osten wiederbringen, mit größerer Klarheit der Darstellung, mit wissenschaftlich (physiologisch und psychologisch) strengerem Nachweis seiner Richtigkeit und Wirksamkeit. (…) Deshalb richte ich diesen Appell an die Leser im Westen, die noch Ehrfurcht und Forschermut für den Yoga beseelt.“
In medizinisch gesundheitlichen Bemühungen existieren zahlreiche Annäherungen, die belegen, dass die verschiedensten Atem- und Körperübungen in dosierter und vernünftiger Weise angewandt, erstaunlichste Resultate erbringen. Des weiteren können neurologische Untersuchungen die verschiedenen Veränderungen am Gehirn bestätigen, die beispielsweise bei Meditationen mit intensiven Konzentrationsprozessen stattfinden.
Weniger konkret und für den Westen nach logischen Gesetzmäßigkeiten nachvollziehbar sind die philosophischen Überzeugungen des indischen Geisteslebens, da die mentalen Unterschiede bis zum heutigen Tage relativ groß sind und jede Kultur trotz synkretistischer Vermischungen ihre eigenen Säulen des Denkens und Wahrnehmens erschuf. Ein Theologe aus Innsbruck, der die hinduistische Kultur über mehr als zehn Jahre studierte, sprach deshalb einmal in erstaunlicher Weise die Worte, dass er nun langsam nach vielen Jahren des Forschens und Erfahrens erste Ahnungen gewinne, welche besondere Geisteshaltung in der Yogakultur verborgen sei. Der Weg der wissenschaftlichen Annäherung von Seiten eines objektiven Forschens, das sich mit den verschiedenen Übungen und deren Wirkensweisen auseinandersetzt und das die spezifischen Seelenhaltungen und geistigen Überzeugungen aus einem fremden Lande berücksichtigt, dürfte deshalb ebenfalls ein nicht schnellfertig zu erledigendes Unternehmen darstellen.
In besonderem Maße können die Forschungen, neben den philosophischen Vergleichen mit deren sensiblen Versuchen sich in die orientalische wie auch okzidentale Geisteshaltung einzufühlen, die soziologischen Bedeutungen gewinnen. In Indien lebte der Yoga mehr oder weniger intensiv im Volke und gemäß den hinduistischen religiösen Grundsätzen wurde er niemals zu einem feststehenden System konzipiert. Jeder Ashram, jede spezifische brahmanische Kulthandlung und jede philosophische Schule gab dem Yoga mit seinen den Riten und Meditationen eine besondere individuelle Färbung. Die Religion lebte aber unmittelbar wie ungeteilt im Volke und wollte eine größere ewige Gesetzmäßigkeit, der Unsterblichkeit der höchsten Seele ausdrücken. Im Westen hingegen verblasste die Wahrnehmung gegenüber einem allumfassenden Kosmos, der mit der Erde verbunden ist und das Seelenleben des Menschen mit ewigen Gefühlen begleitet. Der Okzident richtete seine Aufmerksamkeit auf die Nutzbarkeit des Geistlebens, brachte größte Errungenschaften hervor und nutzte naturgemäß die einmal ausgesprochenen Wahrheiten von den großen Religionsschöpfern wie Christus für ein Kirchensystem. Der Raum für religiöse individuelle Freiheit wurde beschnitten. Die soziologische Bedeutung des Yoga zwischen Anthropozentrik und Kosmozentrik, zwischen individueller Freiheit und systemorientiertem Glaubensgebäuden wirft eine bedeutungsvolle durchaus wissenschaftliche Frage für die Zukunft auf.
Die Frage „Wie wirken Yogapraktiken auf den Menschen und sein soziales Verhalten?“ ist sicher nur ein Teil dieser Fragestellung. Wie fördert die Annahme eines hinduistischen Menschenbildes mit dem Glauben an Reinkarnation und mit dem Ausdruck kosmischer Gesetzmäßigkeiten innerhalb des individuellen Lebens ein Beziehungs- und soziales Umfeld? Wie kann die Lebenseinstellung eines Yogapraktizierenden, der nicht nur die Gesundheit sondern die philosophischen, weitreichenden Überzeugungen aus dem Orient annimmt, sie erforscht und auf den Okzident transferiert die Kultur erbauen und mit künstlerisch ästhetischen Idealen eine zusätzliche Bildung erschaffen, die einen moralischen Aufstieg des Menschen zur Folge hat? Auf der anderen Seite aber stellt sich die Frage, ob nicht doch der sehr fremdländische Yoga sehr exzentrische Auswüchse im kulturellen Leben bewirken kann, dies im besonderen Maße dann, wenn er nicht wirklich erforscht wird sondern zu einer spirituellen Pseudofreiheit mit zunächst einmal die Kultur belastenden Emotionen führt. Die soziologischen Fragen jedenfalls stellen für die Zukunft ein bedeutungsvolles Forschungsprojekt dar.
Die Weite dieses Thema lässt jedoch in diesem Artikel nur sehr begrenzte Darstellungen erschließen. Das soziologische und philosophische Problem wird sich wohl nicht darin äußern, dass der Einzelne einige Körper- und Atemübungen tätigt, sondern vielmehr in jener Form, dass er Weltanschauungen, die im Orient beheimatet sind, auf den Okzident überträgt. Die körperlichen Wirkungen dürften deshalb, wie bereits erwähnt, die leichteste wissenschaftliche Vergleichbarkeit erhalten, denn diese sind subjektiv für das einzelne Individuum spürbar, wie auch objektiv anhand medizinischer Forschungen prüfbar. Weitaus schwieriger werden die Wahrnehmungen in der Philosophie und Soziologie, wenn die Forschungen auf das sogenannte Seelen- und Geistleben ausgerichtet werden und erste Bewertungen auf diesen imponderablen Ebenen erfolgen.
Die Ausdrucksformen des Geistes
Zunächst stellt sich die nicht ganz einfache Frage, ob das menschliche Seelenleben mit dem Begriff der Psyche und schließlich mit einer umfassenden psychologischen Forschung ausreichend erfassbar ist. Die Fragestellung steigert sich im weiteren Umfang und in der Schwierigkeit, wenn der Begriff des Geistes genauer in die Betrachtung rückt und dieser nicht nur eine Glaubensfragestellung darlegt, sondern eine Annäherung erhält, die dem Gehalt von Wissenschaftlichkeit auch nur einigermaßen standhalten kann.
Man nehme als Beispiel die in Bildern dargestellte und sogar durch das Internet zugängliche mystische Ekstase von Theresia von Konnersreuth, die einen Besuch von Yogananda erhielt, der die Echtheit dieser mystischen Ekstasen bestätigte. Was oder welche Wirklichkeit bestätigt jedoch Yogananda aus seiner sicherlich nicht nur oberflächlich gewonnenen Betrachtung? Könnte man aus medizinischer Begutachtung der mystischen Ekstase der Theresia von Konnersreuth nicht genauso mit gutem Gewissen von einer Psychose sprechen? Welche Maßeinheiten und Kriterien sind für seelische und geistige Erfahrungen aus einer einigermaßen objektiven Sicht möglich? Solange Urteile über mystische Zustände und Erleuchtungen nur den größten Meistern zugänglich sind, bleibt der Yoga in einer mehr oder weniger tauglichen Sonderstellung gegenüber dem kulturellen, sozialen und allgemeinen wissenschaftlichen Leben.
Der Geist des Menschen offenbart eine besondere Realität, die sich bekanntermaßen in der Fähigkeit des Denkens ausdrückt. Im Verhältnis zum Tierreich besitzt der Mensch von allem Anfang an keinerlei Instinkte und ist in vollstem Umfang an eine Erziehung von Seiten seiner Mitmenschen angewiesen. Es wäre tatsächlich eine gräuliche Vorstellung, wenn man den Menschen von Kindheit an sich selbst und einer Wildnis überlassen würde, denn er könnte weder eine ordentliche Haltung, noch eine Sprache, noch eine wirklich gegliederte und an Vernunft orientierte Moralität hervorbringen. Während das Tier von den Erden- und Naturbedingungen, von den Nahrungsverhältnissen und auch von Wasser und Luft abhängig ist, benötigt der Mensch zusätzlich eine umfassende Spracherziehung und Bildung.
Versucht man den Geist des Menschen auf allgemeine Weise zu charakterisieren, so darf man wohl dem Fehler nicht verfallen, dass man diesen nur dem Meditierenden zuspricht oder, wie im allgemeinen Sprachgebrauch, dem Klerus, dem sogenannten Geistlichen. Eine geistige Tätigkeit beginnt bereits mit der Denktätigkeit, die beispielsweise ein Schreiner entfaltet, wenn er einen Tisch in Größe und Form ersinnt, diesen schließlich auf dem Papier skizziert und zuletzt ihn mit praktischer Fertigkeit umsetzt. Indem ein Gedanke gedacht, im weiteren Verlauf erlebt und in einer letzten Aktivität umgesetzt wird, ist der Mensch geistig tätig.
Diese Tatsache, dass jeder einzelne Bürger, unabhängig von Yoga und Spiritualität, Sakramenten und Ritualen, geistig tätig ist, ist heute leider den wenigsten Menschen und sogar vielen Yogapraktizierenden nicht mehr im ausreichenden Maße bewusst. Es könnte beispielsweise kein Kind eine Sprache erlernen, wenn diese ihm nicht von Seiten der Eltern und in weiterer Fortsetzung durch Lehrer vermittelt werden würde. Die Sprache besteht aus Gedanken und Inhalten. Die Eltern sprechen Gedanken aus, zeigen die Gegenstände der Welt, benennen diese mit Substantiven und übermitteln den Kindern schließlich die ersten Begriffe, die diese intuitiv und nachahmend empfangen. Ein Lernen geschieht von Kindheit bis in die Jahre des Erwachsenseins durch die Begegnung mit anderen Menschen und erfolgt in praktischer Form über die Gedanken. Der Geist ist in jedem Lernen tätig.
Ein geistiger Fortschritt ist in der westlichen Kultur mehr in einseitiger, technischer Form entstanden, denn, wenn man bedenkt, welche großartigen Instrumente sich nur allein die Medizin in den letzten 30 Jahren angeeignet hat, so müssen diese Errungenschaften ein Erstaunen freisetzen. Es handelt sich um einen Fortschritt auf dem technischen Gebiet und es darf durchaus bemerkt werden, dass auch der Mensch, der diese Erfindungen tätigt, in seinen Denkleistungen auf nahezu utopische Höhen geklettert ist.
Kriterien des geistigen Fortschritts
Wie würde nun der Yoga den Geist oder geistigen Fortschritt, den er bei sich finden möchte, bezeichnen? Welche Wertkriterien lassen sich innerhalb des Yoga sinnvoll entwickeln und zu einer größtmöglichen objektiven Nachvollziehbarkeit konstatieren? Für diese Darlegung und Grundlegung der Kriterien ist ein Begriff unausweichlich zu nennen. Er lautet zunächst ganz allgemein Entwicklung. Der Geist des Menschen steht unmittelbar mit seiner Entwicklung in Verbindung. Obwohl man bei einer Pflanze von der Entwicklung von einer Wurzel zum Stängel und zum Blatt und von diesem wiederum zu einer Blüte und zu einer Frucht sprechen kann, so ist die Entwicklung des Menschen doch eine ganz andere, da er selbst ein Träger des Geistes ist und in eine Art Konflikt über die Verhältnisse seines Innen- und Außenlebens geraten kann und sogar geraten muss. Eine Pflanze gedeiht, wenn das Licht der Sonne ihr Wachstum erlaubt und sie welkt, wenn sich die Jahreszeit dem Winter zuneigt. Der Mensch ist in seiner Entwicklung zu einem gewissen Grade von diesen gleichen Naturbedingungen abhängig, aber er ist des weiteren von den Prinzipien eines umfassenden Bildungssystems und von seinen Mitmenschen und deren Erziehungseinflüssen und Kulturbedingungen abhängig.
Der Meister des Yoga übermittelte in der Tradition der shruti dem Schüler die verschiedensten Gesetze des Universums und des Arbeitens am Selbst. Diese Übermittelung setzt sich fort durch die shruti, durch die heilige Schrift. Bemerkenswert ist, dass der Schüler die Lernfortschritte immer im gleichen logischen Ablauf erlebt. Er entwickelt sich, wenn er sich den Worten des Lehrers hinwendet oder mit der Disziplin (svadhyaya) die shruti studiert. Die Gedanken sind noch nicht in ausreichendem Maße im Schüler lebendig. Will der Schüler Sanskrit lernen oder will er eine Konzentrationsübung tätigen, so benötigt er hierzu die Anregung von außen, indem er beispielsweise das Vokabular des Sanskrit studiert, oder indem er den technischen Vorgang des sich Sammelns zu einem gewünschten Inhalt und des sich Ablösens von unruhigen Störfaktoren ausreichend kennenlernt. Er ist zunächst in der Arbeit mit Gedanken tätig und somit darf er die Augen vor der Welt und vor seinen Lehrern und Mitmenschen nicht verschließen.
Die Logik des Lernens ist immer von außen nach innen wirksam oder anders ausgedrückt, jedes individuelle menschliche Leben lernt, indem es einen Gedanken von außen kennenlernt und diesen in weiteren Schritten prüft und schließlich nach Wahl in das Gemüt aufnimmt. Das Lernen von Sprache geschieht immer auf diese Weise. Obwohl jeder einzelne Mensch ein Teil des Makrokosmos ist und die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos keimhaft in sich trägt, müssen dennoch über Lernmethoden der menschlichen Erziehung und Begegnung diese im Außen kennengelernt werden, damit sie schließlich einmal ein Teil des reifen Menschen im Inneren werden können.
Wissenschaftlich oder objektiv gesehen sind deshalb die im Yoga leider so häufig gebrauchten und banalisierten Wortformeln, die sich etwa wie folgend ausdrücken: „Die Wahrheit lebt in mir, tief im Inneren!“ oder „Schließe die Augen und suche Dein Selbst in Dir!“ oder wieder anders „Der Geist ist nur dann erfahrbar, wenn Dein Denken vollkommen erlöscht!“ ganz einfach gesehen verführend und rauben eine grundsätzliche Einsicht in die wirklichen Gesetze.
Der Yogaübende beispielsweise lernt die Wirbelsäule in verschiedenen Abschnitten zu bewegen. Obwohl er diesen Vorgang bei sich selbst vollzieht orientiert er sich an einem Bild der Asana oder an der Demonstration des Lehrers. Das Bewegungsleben ist dem Menschen inhärent und dennoch muss er zur Entfaltung, Stärkung und Differenzierung dieses Bewegungslebens objektive Prozesse einstudieren. Man kann von einer regelrechten Entwicklung sprechen, wenn dieses Bewegungsleben tatsächlich schönere ästhetische Qualitäten entfaltet, wenn es sich in der Ausdrucksgebung differenzierter gebärdet und nicht nur plump erscheint und wenn es einen gesunden Tonus aufweist.
Der Geist des Menschen erlebt sich deshalb in den verschiedensten Entwicklungsprozessen gegenüber dem Körper und gegenüber bestimmten Aktivitäten. Es ist anfangs sehr schwer, ein Bewertungskriterium für die sogenannte Erleuchtung oder für mystische Einheit objektiv zu benennen. Obwohl es für diese Erfahrungszustände ebenfalls objektive Kriterien gibt, die für eine gesunde Beobachtung zugänglich sind, so ist es dennoch für die Betrachtung des Yoga erst einmal leichter, wenn man das Hauptkriterium des Geistes, der sogenannten geistigen Entwicklung an logisch nachvollziehbaren Prozessen wie beispielsweise an der Bewegung, an der Haltung, an der Art der sozialen Entwicklung und allgemein an der Ästhetik beurteilt.
Wodurch wird der Yogaübende sozialfähiger?
Für den Yoga wird man vor allem die schöne, zwangfreie Bewegung in der Asana, die leicht ist und dennoch eine klare Willensformung mit entschlossenen Elementen aufweist, als Entwicklungskriterium nehmen. Die Ruhephasen erscheinen nicht versunken, sondern mit klarer Bewusstheit und Übersicht. Sie zeichnen sich auch nicht verschlossen oder eingeschnürt, nicht abhängig im Körper, sondern sie geben einen Ausdruck der Klarheit, Ruhe, Wachheit und sogar Offenheit.
Für den, der sehr viel Pranayama übt, könnte neben den physiologischem Atemgewinn, den der Einzelne absolviert, das Kriterium der Gedankenordnung, der Gedankenführung und der Sozialfähigkeit, die durch ein geordnetes Denken entsteht, genommen werden. Pranayama, die Kontrolle der Lebensenergie, sollte in seinem hervorragenden Sinne zu einer größeren dynamischen Gedanken- und Gefühlskontrolle führen, die das Leben schließlich langsam auf niveauvollere und moralisch höher stehende Stufen führen kann. Würde Pranayama nur Energieanreicherung sein, so würde sich der Übende viel zu viel um sich selbst bewegen und vielleicht nur persönliche siddhi-Kräfte innerhalb seines eigenen Wunschlebens erlangen. Eine objektive wirkliche geistige Entwicklung lässt sich aber an der Steigerung wirklicher sozialfähiger und moralischer Fähigkeiten erkennen. Diese drücken sich tatsächlich nicht nur im engen persönlichen Kreise aus, sondern im gesamten Begegnungsfeld, in dem sich der Übende aufhält.
Für den Geist ist die menschliche Entwicklung eine unabdingbare Voraussetzung. Diese unterliegt Gesetzmäßigkeiten, die in vergleichbaren Betrachtungen dem Studium zugänglich sind. Jener, der in seinem Leben sozialfähiger, interessierter und dennoch mit konstruktiver eigener Entschlossenheit besser in Beziehung treten kann, jener, der den anderen wahrnimmt und ausreichend ohne missionarische Zwänge Inhalte in einen Dialog führen lernt, kreiert mithilfe der Yogapraxis Entwicklungsschritte, nicht nur für den Körper sondern für die allgemeine Kultur.
Die Seele selbst kann man durchaus als großes Empfindungsorgan bezeichnen. Im Gegensatz zu den emotional gebundenen Verhaltensweisen, die heute leider viel zu häufig als Status propagiert werden, steht der innere Empfindungsreichtum. Wie erlebt der einzelne Mensch sich selbst in Beziehung zu anderen? Wie erfährt er die verschiedensten Naturerscheinungen? Wie weit reicht seine Anteilnahme an den Mitmenschen und wie tiefgründig bildet sich sein Einfühlungsvermögen? Der seelische Fortschritt bemisst sich meist an der sensiblen Empfindungserkraftung, die sich jedoch nahe an die geistige Lernfähigkeit anlehnt, die einerseits einen freien Menschen hervorbringt und andererseits ein höheres Verantwortungsbewusstsein auf physischer und psychologischer Ebene fördert.
Führt ein Yoga lediglich zu einer eigenen Energiezentrierung ohne sozialen Fortschritt oder führt er zur Polarisierung gegenüber vielen anderen Zeiterscheinungen, darf man wohl noch nicht von einer wirklich gelungenen geistigen Entwicklung sprechen.
Das Lernen beginnt in der Beziehung nach Außen
Das Kriterium, dass der Mensch in seinem Lernen nicht von innen heraus alleinig durch sich selbst, beispielsweise durch Versenken in Meditationen, durch kriya-Yogaübungen und Askese oder durch besondere langanhaltende Übungen lernt, ist mit dem wissenschaftlichen gültigen Bild der Erziehung des Menschen zur Entwicklung nur sehr bedingt vereinbar. Das Lernen beginnt immer mit den Außenbeziehungen und wenn diese ausreichend getätigt wurden, können die erworbenen Impulse schließlich leichter im Inneren umgesetzt werden. Für eine objektive Betrachtung des Yoga und die Möglichkeiten der seelisch geistigen Entwicklung durch Yoga, ist ganz besonders dieses Argument an allem Anfang mit Nachdruck zu betonen.
Nach der Forderung von Otto Albert Isbert und dem Zitat von Dr. Mohan Singh kann beispielsweise die westliche Forschungsarbeit, die sehr nach systemorientierten Prinzipien sucht, und diese zu einer allgemein Gültigkeit erklärt, mit den sehr individualisierten Yogaprinzipien, die nahezu ein gegenteiliges Dogma fast zur Gewohnheit errichtet haben, das etwa allgemein lautet „Die Wahrheit lebt im Inneren“, in den Dialog treten.
Die Entwicklungsfragen des seelischen und geistigen Leben sind jedoch ebenfalls durch Beobachtung, Erwägung, Vergleich und durch vernünftige Bewertung, der objektiven Beurteilung zugänglich und die maßgeblichen Kriterien können in weiteren Arbeitsschritten sicherlich entfaltet werden.
Heinz Grill