Diese Stellung, bei der der Oberkörper wie auch die Beine nach oben gehalten werden, nennt man allgemein navasana oder die Stellung des Bootes. Indem der Übende jedoch nicht die Arme in die Richtung der Kniegelenke führt, sondern sie unmittelbar über den Kopf hinaushebt, variiert er die allgemeine Grundhaltung von navasana und erhebt sich in besonderem Maße mit dem Oberkörper in die luftige Balance. Eine gewisse Heiterkeit, die den Namen saumukha – das heitere Gesicht – rechtfertigt, liegt in dieser spannungsvollen und angehobenen Position.
Die Stärkung des Körpers und die seelische Impression
Die Heilwirkung einer Yogastellung entsteht nicht nur durch die differenzierte und sinnvoll angesetzte Muskeltätigkeit und deren ansprechende stärkende Betonung, sondern ganz besonders durch die Impression, den seelischen Eindruck, den eine bestimmte eingenommene Form nach außen wie ein Bild demonstriert, und nach innen, wie eine Erfahrung fortleitet. Jede Übung besitzt immer eine körperliche Dimension, die meist der Forschung und der sinnlich wahrnehmbaren Erfahrung zugänglich ist und deshalb mit verschiedensten Heilwirkungen benannt wird. Es wird bei der Ausführung jeder Übung auf ganz natürliche Weise die Arbeit mit einzelnen Muskeln gefordert und somit kann man immer von einer Stärkung des muskulären Apparates, von einer Massage der Organe und einer durcharbeitenden Aktivierung des Bindegewebes sprechen. Die Impression, die mehr als seelisches Geheimnis der asana innewohnt, und die mit einem verborgenen Energiefluss, dem sogenannten prana-Fluss oder, wenn man es anders ausdrückt, einer Ätherwirkung verbunden ist, bleibt in der modernen Zeit, die man durchaus materialistisch orientiert nennen kann, wie unerwähnt oder dem Bewusstsein heute nicht mehr ausreichend zugänglich.
Die intensivere Heilwirkung auf die Psyche und des weiteren sogar auf die Physis entsteht jedoch, wenn es dem einzelnen Menschen gelingt, seine gesamte Entwicklung, die körperliche wie auch die seelische, in eine nächste Dimension des Fortschrittes hinüberzuführen. Eine Impression heißt soviel wie einen Eindruck zu vermitteln, einen Eindruck auf das eigene innere Seelenleben. Jede asana besitzt ein inneres Bild und dieses wirkt auf den inneren Erfahrungshorizont des Bewusstseins und strahlt nach außen, mit einer spezifischen ästhetischen Offenbarung. Derjenige, der eine Übung im Bild betrachtet oder, wenn sie ein anderer in lebendiger Darstellung ausführt, beobachtet, gewinnt ebenfalls anhand der Offenbarung einen seelischen Eindruck. Jede Stellung gibt deshalb Impressionen, die, wenn sie gut gelungen sind, Heilwirkungen mit subtilem und doch intensivem Charakter tragen.
Die Ausführung der Stellung
Bei saumukhyasana sitzt der Übende relativ schmal auf seinen unteren Gesäßmuskeln und streckt die Beine wie auch den gesamten Oberkörper mit den Armen in einer offenen Winkelform nach oben. Die Anhebung, sowohl beinwärts als auch kopfwärts geschieht aus dem untersten Zentrum, aus dem muladhara cakra und fließt bis hinauf zur Brustmitte der Zone des Herzzentrums. In dieser Mitte der Brust erlebt der Übende regelrecht ein heiteres und lichtes Empfinden und er kann sich trotz der Spannung, die die Stellung einfordert, nahezu ein Lächeln auf den Lippen nicht verkneifen. Das Anheben, bis hinein in die Fingerspitzen, von unten nach oben, und mit Betonung der Brustwirbelsäule, führt zu einem Empfinden der Heiterkeit.
Die Lungen und die Fixierung des Bewusstseins an den Körper
Es werden die Lungen, die primären Atmungsorgane, wie aus einem Eingekerkert-Sein in das Verließ des Körpers angehoben und befreiend angesprochen. Wie sehr sind durch die Schultern- und Nackenverspannungen und durch melancholisch depressive Gefühle diese Lungen wie in eine Art Schwere und Impressionierung gezwungen. Mit diesen Gefühlen, die die Lungen selbst in ihrem zu starken körperlichen Fixiertsein auf das Bewusstsein zurückstrahlen, entsteht ein Gefühl, das man heute wohl als ein zu starkes Gefangensein im Körper benennen kann.
Die Spannung, die nun die Übung einfordert, möchte bei beginnender Ausführung den einzelnen Übenden sofort in die Schwere und Erschöpftheit zurückdirigieren und ihm infolge von Kraftlosigkeit das befreiende Erlebnis verwehren. Nimmt jedoch der Übende die Spannungen bis zum Zittern des Körpers unbeachtet und heiter hin, behält er gleichmütig die Ausdauer, so erlebt er die heitere Befreiung mit einem leisen Lächeln. Er lässt seine Lungen, die durch den schweren Atem des Alltagsstress wie eingekerkert waren, für Augenblicke in die Freiheit und ein Lichtschimmer dringt in die Dunkelheit des Leibes hinein.
Die Lungen sind die kältesten Organe des Körpers und weisen eine Körpertemperatur, die meist noch keine 36 Grad erreicht, auf. Die Bauchorgane, in denen sich ein aktiver Stoffwechsel mit Verbrennungsprozessen äußert, sind in der Regel wärmer als der Lungenraum, in dem sich der Sauerstoff- und Kohlensäureaustausch vollzieht. Wenn jemand traurig ist, sich selbst zu sehr nach innen zurückzieht oder regelrecht psychisch abschirmt, hält er seinen Atem in engen Grenzen und fällt in eine Art Melancholie bei sich selbst. Er wird pessimistisch und kann sich mit seinen Sinnen nicht mehr teilnehmend an der Welt erfreuen. Diese Kondition, die nicht selten ist, sondern in einer materialistischen Zeit zu einem gewissen Grade wie automatisch programmiert ist, führt zu Umweltängsten, mangelnder Beziehungsfreude und in der Folge zu einer Schwächung des aufbauenden Stoffwechsels. Die Lungen sind diejenigen Organe, die den Menschen zu stark an die Erde binden können. Man achte auf die Tatsache, dass mit Antritt der Geburt die Lungen sich durch komplizierte Enzymprozesse für die Atmung öffnen. Das Offen-Werden für die Atmung bezeichnet die erste Beziehung zur Welt.
Die befreiende Wirkung von saumukhyasana durch die Sinnesfreude
In der Variation von navasana mit den gehobenen Armen, befreit der Übende seine Lungenorgane und erlebt die Sinnesfreude nach außen. Das heitere Lächeln entsteht durch die Erfahrung, dass der physische Körper in seinen Spannungen und Widerständen nicht so wichtig zu nehmen ist und das Bewusstsein schließlich aus der Mitte diesen für Augenblicke überholt. Während dieses Prozesses des Anhebens und der aktiven Sinnesentwicklung nach außen, die durch die Beobachtung des Köpers und mithilfe der wachen, teilnehmenden Augen geschieht, befreit sich der Atem aus der Enge und wird leicht. Der auf diese Weise frei gewordene Atem lässt die Wärmeätherwirkungen oder, wenn man es auf die prana-Ströme bezieht, die viyana-Ströme im Zentrum des Herzens, kräftig zur Entfaltung kommen.1)Das Sanskritwort vyana heißt übersetzt Atem, Hauch. Vyana ist eines der fünf Haupt-pranas, die in der Yogaliteratur benannt werden. Vyana bedeutet „die sich verbreitende Luft“.
Diese Aktivierung zu durchdringenden und strömenden Wärmewirkungen beugen prophylaktisch gesehen Zelldegenerationen vor. Jede Zelle des Körpers benötigt bis in ihren Kern Wärmewirkungen und dies nicht nur durch passive Wärmezufuhr, sondern durch geeignete sinnvolle Aktivitätsleistungen. Was bedeutet es, wenn der Mensch für Augenblicke den Körper frei empfindet und dennoch in hoher körperliche Aktivität verharrt? Mit diesen Erfahrungen von saumukhyasana spürt der Übende, wie die Wärmekräfte nicht nur durch reine Körperaktivität gesteigert wird, sondern wie sie durch die im Moment frei werdende Erfahrung gegenüber dem Körper in die organische Tiefe dringen kann. Eine körperliche Aktivität bei gleichzeitiger wacher Übersicht und Freiheit des Bewusstseins führt eine erste Erfahrung einer Ätherwirkung (oder viyana-prana) die in die Herzmitte strömt, herbei.
svanasana – die Stellung des Hundes
Einen Gegensatz zu dieser Variante von navasana bildet svanasana, der sogenannte Hund, der vielfach als Ausgangs- und Trainingsposition für verschiedene andere Übungen praktiziert wird. Während bei saumukhyasana die Sinne sich nach außen heiter öffnen, wendet sich bei svanasana die Aufmerksamkeit tiefer auf die Körperlichkeit. Gewissermaßen werden bei dieser Stellung mit dem Gesicht nach unten, adho mukha svanasana, die Sinne mehr vom Körper absorbiert. In teils passiven und teils aktivem Dehnen begibt sich der Übende in eine Dreiecksstellung. In adho mukha svanasana wird die gesamte Rückseite des Körpers vorwiegend auf exzentrische Art gedehnt. Die Lungen können sich in dieser Stellung kaum zu einem freien Atem entwickeln. Die Impression von adho mukha svanasana bildet deshalb einen gewissen Gegensatz zu saumukhyasana, bei der sich der Atem relativ spontan und leicht befreien kann. Im Allgemeinen sammelt sich die prana-Energie im zweiten Zentrum, das Bewusstsein wird jedoch sehr wenig in progressiver Art angesprochen.
Die Gefahr die Sinne zu tief nach innen an den Körper zu binden und die Sinnesanteilnahme und Sinnesfreude nach außen zu verlieren, könnte durchaus durch eine einseitige körperbetonte Art des Praktizierens entstehen. Eine Yogaübung benötigt heute deshalb neben ihrem praktischen Vollzug eine erkenntnisorientierte Entwicklung und eine unbedingte Aufmerksamkeit zu einer möglichst schönen ästhetischen Formung.
Wirkung der Atem- und Sinnensprozesse auf den Eiweisstoffwechsel
Die Art der Erkenntnisentwicklung, die die Sinne nicht ausschließt sondern einschließt, wirkt neben dem Atem- und Ernährungsprozess auf die Stoffwechselorgane, im ganz besonderen auf die Art und Weise der Proteinsynthese. In den Ernährungswissenschaften weiß man, dass Eisen- und Schwefelprozesse auf die Proteinmodellierung in der Verdauung einwirken und durch entsprechende Ernährung Mangelerscheinungen vorgebeugt werden können. Wie verhält es sich jedoch, auf die Ernährung bezogen, mit den bewusstseinsorientierten Sinnesprozessen und mit den Gedanken, die sich jemand im Leben aneignet? Wie verhält es sich weiterhin mit der Art und Weise, wie man atmet für den Stoffwechsel und für die so komplizierte Proteinsynthese? Ob man nun in die Tiefe atmet oder oberflächlich, oder ob man sich weit oder angespannt im Flusse des luftigen Elementes befindet, nimmt eine heute zwar unbekannte aber dennoch wichtige Bedeutung für die gesamten aufbauenden und abbauenden Stoffwechselprozesse ein.
Der Atemprozess wird heute fast nahezu im Sinne der Sauerstoffversorgung als medizinisch wertvoll beurteilt. Dass die feinere Qualität, die lichte Freiheit und offene Weite, die im Atem errungen wird, gerade für die Stoffwechselprozesse und deren aufbauende substanzerhaltende Erkraftung eine besondere Rolle einnimmt, wird heute, in einer Zeit, in der nur die faktisch ponderablen Beurteilungskriterien zählen, nahezu außer acht gelassen. Noch unbekannter als der Atemprozess ist jedoch der Gedanken- und Sinnesprozess. Dieser ist nämlich durch seine durchlichtende Wirkung sehr maßgeblich an der Proteinsynthese und deren qualitativer Modellierung beteiligt. So wie der Mensch sein Denken formbar beeinflussen kann und seine Sinne kontrolliert, aber dennoch wach in die Umgebung richtet, setzt sich nach innen, über den sogenannten Ätherleib, der Prozess fort und steuert auf feinste Weise die körperlichen Vorgänge. Der Sinnesprozess, der die verschiedensten Impressionen aufnimmt und der Gedankenprozess, der diese verarbeitet, bilden große, für den Stoffwechsel wichtige Formstrukturen. Die Eiweißsynthese benötigt diese Formung, damit sie harmonisch, gesund und der Entwicklung entsprechend ablaufen kann.
Die unterschiedlichen Impressionen der beiden Stellungen
Beide Übungen, die Balancehaltung im Sitzen wie auch der Hund, beschreiben eine Winkelstellung, nur mit dem Unterschied, dass saumukhyasana sich nach oben und außen offen darbringt, und svanasana sich mehr geschlossen und nach innen orientiert. Die Impressionen, die eine Stellung in ihrem Bild äußert, und die über den wahrnehmbaren Sinnesprozess, auf das Bewusstsein und auf das Unbewusste wirken, üben auf die Wärmeentwicklung der gesamten Stoffwechselprozesse und somit auf den Körper einen sehr starken Einfluss aus.
Saumukhyasana fördert eine anregende und befreiende Wirkung auf das Lungen- und Herzorgan und sollte durchaus öfters zur Entwicklung des sogenannten Wärmeäthers in Herz und Lunge und zu einer offenen Sinnesfreude praktiziert werden. Diese Wirkung entsteht sekundär über die direkte körperliche Aktivierung, aber primär über die Impression, die die gelungene Ausführung der Stellung offenbart.
Anmerkungen
⇑1 | Das Sanskritwort vyana heißt übersetzt Atem, Hauch. Vyana ist eines der fünf Haupt-pranas, die in der Yogaliteratur benannt werden. Vyana bedeutet „die sich verbreitende Luft“. |
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