Spirituelle Schulung bildet das zentrale Mineral eines jeden Berufes

Von Heinz Grill

Eine kleine persönliche Episode will ich aus den jüngeren Jahren erzählen. Es war die Amtsarztprüfung für neue Heilpraktiker und drei Ärzte prüften eine kleine Gruppe von jungen Kollegen. Einer von der Gruppe war sehr spirituell und erzählte bereits im Vorfeld, wie viele Geistheilungen und große Transformationen er schon in seiner Laufbahn angebracht hatte. Die Wirklichkeit, wie weit seine Spiritualität aber tatsächlich reichte, stellte sich bei einer Frage heraus, die einen medizinischen Notfall betraf. Der junge Kollege antwortete ganz stolz auf die Frage des Atemstillstandes eines Patienten, was es zu tun gäbe: „Beten!“ Die Amtsärztin war nicht ganz glücklich über die Antwort, sie brach die Prüfung ab und ließ den Kollegen durchfallen.

Spiritualität und Berufung können tatsächlich auf einer banalen Ebene nicht zusammenfinden, denn man wird sich entweder in eine pseudospirituelle illusionäre Welt bewegen oder wird zwei Pole, einen sogenannten realitätsbezogenen und einen anderen, träumerischen Standpunkt vertreten. Es bedarf einer langwierigen Auseinandersetzung, sowohl mit dem Beruf, als auch mit spirituellen Inhalten, bis diese auf reiflicher und solider Ebene zusammenfinden. Wirkliche Wissenschaft oder wahre Ökonomie können hochspirituell werden, wenn sie mit geistigen Inhalten belebt und kreativ durchdrungen werden.

Die Studientage in Naone mit einer ausgewählten Anzahl von geistigen Inhalten sollen für die Teilnehmenden zu einer Grundlage führen, die jeden bisher gelernten Beruf veredelt und allgemein das ganze Leben erweitern kann. Man könnte leicht denken, dass gerade die Spiritualität ein nettes, charmantes, begleitendes Nebenstudium zu der schroffen Realität des Alltages darstellt und dem Menschen in seinen Nöten einen kleinen Trost spendet. Diese Einstellung der Relativität von Spiritualität kann keinem ernsthaften Studium gerecht werden. Eine gut entwickelte inhaltlich reichhaltige geistige Schulung führt den Menschen nicht von der Erde und all ihren Gesetzen hinweg, sie knüpft vielmehr eine wirkliche tiefere Beziehung zu allem Gelernten und erschafft ein sehr kreatives und doch freies Umgehen mit den Phänomenen der Welt, wie beispielsweise mit den essentiellen Verantwortungen im Leben, mit wirtschaftlichen Fragen und mit sozialen Notwendigkeiten.

Wenn man heute ein Haus mit sehr schönen großen Fenstern erbaut, so fällt das Licht in fülligem Maß in die Innenräume. Wie aber kann das Seelenlicht, das dem Menschen eigen ist, in die Räume hineindringen, diese erfüllen und sogar zauberhaft verwandeln? Die Studiengänge in Naone verändern den Menschen in seiner Art der Wahrnehmungsfähigkeit und Unterscheidung von Wesentlicherem und Unwesentlicherem im Leben und sie schaffen für die denkende, fühlende und willentliche Situation des Menschen eine größere Freiheit.

Was macht der Einzelne in diesem Zusammenhang mit seinem bisherigen Beruf? Ändert er sein Leben dahingehend, dass er im technischen Beruf mehr eine soziale Orientierung einschlägt, um den Nöten der Zeit Abhilfe zu schaffen? Die Vorstellung, dass man einen äußeren, mehr materiell orientierten Beruf in einen pädagogischen oder sozialen verwandeln müsste, lebt heute sehr weit verbreitet, aber sie kommt dem Thema der Spiritualität nicht wirklich näher. Es ist einerlei, ob jemand einen wirtschaftlichen, technischen oder einen sozial orientierten Beruf ausübt. In jedem Bereich können Gedanken und Inhalte, die aus dem spirituellen Studium erfolgen, zur direkten oder auch indirekten Entfaltung kommen.

Wenn jemand beispielsweise in einem therapeutischen Beruf tätig ist, wird er seine Fragen nicht nur nach einer methodischen, schulmedizinischen oder komplementären Anwendung ausrichten, er bemüht sich vielmehr um die Entwicklung des Menschen und verschiebt sein Gleichgewicht von der Einzelfrage der Symptombehandlung auf eine ganzheitliche Therapie. In der pädagogischen Arbeit gewinnt der Lehrer einen ganz neuen Horizont und er wird nicht mehr die Kinder allein in die Mitte seiner Bemühung setzen, sondern ein größeres Gesamtideal, das sowohl die Lehrer als auch die Kinder für die Entwicklungsfrage in bestmöglicher Hinsicht belebt. Eine größere Wertschätzung für zu lernende Inhalte entsteht auf ganz natürliche Weise. Ein Mathematiklehrer kann beispielsweise den Sinn und die Bedeutung der Zahlen und die Arithmetik mehr in einem kosmischen Zusammenhang erfassen und, obwohl er dem Lehrplan in der Schule auf natürliche Weise folgt, wird die Mathematik nicht nur ein reines Training des Gedächtnisses sein, sondern ein lebendiges, kreatives und sogar ästhetisches Interessensfeld.

Wenn jemand meditiert, wird er in einer spannungsvollen Krisensituation im Betrieb nicht in seine eigene abgeschlossene Innenwelt der Meditation flüchten und die Augen vor einer Konfrontation schließen, er wird vielmehr seine Gedankenkraft intensiver gebrauchen und mit bewussten Empfindungen, die seiner entwickelten Seele entsprechen, unmittelbar und direkt beruhigend auf alle Anwesenden wirken.

In den Studientagen wird auf diese Entwicklung einer Synthese von Spiritualität und weltlicher Berufstätigkeit besonderer Wert gelegt. Der Einzelne soll einerseits in seinem beruflichen Wirkungsfeld freier werden, mehr Phantasie für Kreativität entwickeln und schließlich ein umfassendes Verantwortungsbewusstsein für die Mitmenschen, wie auch für gelebte Werte im Alltag entfalten.

Einer der großen Pioniere der Verbindung von Philosophie und Leben war Rudolf Steiner.
Zeichnung: Anne-Michèle Hambye

Obwohl die Übung auf den Körper bezogen ist, entwickelt sich mit ihrer Kenntnis und Perfektion ein Bild für das Leben, das der Übende allgemein in das Leben übertragen kann.
Diese Karikatur von Anne Michèle Hambye zeigt, dass die Meditation in direkter Form die Klasse nur in Unruhe versetzen würde.

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