Artikel von Heinz Grill vom 21.09.2024
Eine Krankheit ist immer mit dem physischen Leib verwickelt. Selbst jene Erscheinungsbilder wie Depressionen oder Angststörungen sind durch das physische Existent-Sein gegeben. Obwohl eine Panikattacke oder eine depressiv-reaktive Verstimmtheit sich an der Psyche maßgeblich spiegeln, sind diese vonseiten des Körpers motiviert. Es sind feinste Stoffwechselprozesse, die eventuell in den Bauchorganen ihren Ausgang nehmen und bis in die Gehirnanlage durch eine Verschiebung von Transmitterfunktionen emporgleiten und ein ganz bestimmtes psychisches Erscheinungsbild verursachen. Der Körper ist deshalb diejenige primäre Instanz, die durch ihre eigene sehr individuell gegebene Wirklichkeit eine bestimmte Krankheitssituation hervorbringt.
Die Tatsache, dass die körperlichen Bedingungen über vielseitigste Emotionen und Gefühle das Bewusstsein bestimmen, gehört zur menschlichen existenziellen Lebensform. Wenn nun jemand krank geworden ist, wird ihn wohl unweigerlich das Begehren nach Gesundheit begleiten. Von einer Beschwerdesituation mit Schmerzen und Einschränkungen will man wohl immer frei werden und so schnell wie nur denkbar in einen angenehmen funktionstauglichen Zustand übertreten. Die gesamte Interessenlage und das vorherrschende Bewusstsein sind deshalb von diesem Begehren nach einem Ausweg aus der misslichen Situation geleitet. In anderen Worten lässt sich dieser Sachverhalt folgendermaßen darstellen: Der krank gewordene Mensch kann in seinem in den Körper eingebundenen Zustand nicht oder nur begrenzt eine gesunde Perspektive in die Vorstellung führen und es wird ihm eine freie Beziehungsaufnahme nach außen zu den Mitmenschen wesentlich erschwert. In diesem Sinne ist die Krankheit mit dem Menschen und seinem Bewusstsein immer verbunden.
Vielleicht könnte man das einfache Beispiel anführen, indem man von dem Wesen einer Beleidigung ausgeht. Derjenige, der beleidigt wurde, sagt nicht zu Unrecht, dass ihn der andere mit seinen unsoliden Worten gekränkt habe. Wer nun in dieser Situation die Beleidigungen erlitten hat, die rein von geistiger Warte gesehen wie eine Überschüttung mit schwarz-dunklem oder grau-schmutzigem Farbstoff sind, möchte sich allzu leicht rechtfertigen und auf diese Weise aus dem gekränkten, verminderten Zustand ausbrechen. Nun lässt sich aber feststellen, dass eine Beleidigung immer einen krankmachenden Umstand darstellt und eine Wirkung mit sich führen wird, gleich ob der Betroffene sich dagegen verwehrt oder nicht. Oftmals werden aber die Umstände verwickelter, schwieriger und für die Gesundheit belastender, wenn sich der Betroffene von seinen psychischen und vielleicht sogar physisch gewordenen Umständen befreien möchte. Der Beleidigte muss aus seiner misslichen Situation des Reduziertseins und Sich-Gekränkt-Fühlens agieren und dies ist ein Umstand, der aus dem Körper und dem Begehren nach einer freieren Wirklichkeit entspringt.
Dieser subjektiv gewordene Umstand des Betroffenseins, des Schmerzes und des Sich-Krank-Fühlens oder auch des Krankseins sollte als ein erster Schritt ausreichend in Kenntnis gelangen. Nun lässt sich der vorhergehende Artikel, dass die Krankheit nicht der Feind des Menschen ist, sondern die eigentliche Ursache auf einer anderen Ebene zu suchen ist, leicht erfassen. Schmerz und Krankwerden sind die Folge einer Abwehr oder anders ausgedrückt einer Reaktion, die in mehr oder weniger natürlichem Verhältnis bei jedem individuellen Menschen auftritt. Sie kommt aber von Umständen, die auf den Körper und auf das individuelle Dasein wirken und sich über die Ebene der wahrnehmbaren Wirklichkeit, das heißt des Physischen, ausdrücken. Eine Störung im menschlichen Miteinander, eine Verfehlung in der Moralität oder eine langzeitgemäße Unterlassung von wesentlichen Pflichten gehen diesen physischen Bindungen voraus.
Wenn nun durch übende Betrachtung der Einzelne diese Unterscheidung zwischen Ursache und Folge einigermaßen analysieren und wahrnehmen lernt, so kann er den nächsten Schritt für seine Heilung entwickeln. Der Grundsatz, dass der Betroffene nicht an den Symptomen und im Involviertsein der Krankheit ansetzt, ist auf dieser Stufe der Selbstaktivität und bewusstseinsbildenden Weiterentwicklung bedeutungsvoll. Für eine umfassende, ganzheitliche Heilung, die die Weiterentwicklung sowohl des seelischen, geistigen als auch des körperlichen Daseins erstrebt, ist es unabdingbar, sich ein zukunftsorientiertes Konzept anzueignen. Obwohl eine Ursachenklärung, welche Umstände zur Krankheit oder einem Gekränktsein geführt haben, immer sehr wichtig ist, darf das individuelle Bewusstsein nicht in der Vergangenheit und den Ereignissen stehen bleiben, sondern muss sich bessere Vorsätze für die Zukunft im Sinne einer wachsenden Entwicklung aneignen.
Relativ einfach ist es beispielsweise, wenn man beleidigt wurde und sich in der Erkenntnis übt, dass der andere, der Aggressor im eminentesten Sinn ein Problem hat und es nur durch das Mittel der Erniedrigung auf den anderen projiziert. Damit kann eine bessere Stärke relativ schnell zur Entwicklung gelangen. Man lerne deshalb, die persönliche Betroffenheit in Beleidigungen zu überwinden und ein größeres Ehrgefühl im Umgang mit anderen Menschen, beispielsweise ein projektionsfreies, inhaltliches Kommunizieren, zu pflegen. Am besten schaue man sich sogar die Armut des Angreifers an und überlege sich, wie man idealerweise sein Leben auf eine höhere Stufe organisieren lernt. Die geistige Wirklichkeit zeigt nämlich die Tatsache, dass derjenige, der versucht, anderen einen Schaden beizufügen und meint, seine egoistischen Vorteile demonstrieren zu können, dem anderen eine Art Seelenkraft zufließen lässt, wenn man es so ausdrückt. Verborgene Kräfte fließen in Wirklichkeit dem traumatisierten Menschen zu und der Angreifer gibt sich gegenüber dem anderen selbst auf.
Das Kunststück, das Bewusstsein auf eine nächste freiere Stufe zu führen, die der Entwicklung entspricht und sich von Involvierungen freizumachen, muss man immer im Leben leisten. Die größte Hilfe für eine Entwicklung stellt tatsächlich das Negative in der Welt dar, denn es stört das bisherige Wohlgefühl mit seinem angenehmen Miteinander, es stimmt mit den gewöhnlichen Gefühlen nicht leicht überein und aus diesem Grunde erweckt es die Phantasie für die nächste Entwicklungsstufe. Die wahren Feinde des Menschen sind deshalb nicht einmal die äußeren Angriffe, sondern vielmehr die innere Trägheit, die Verzagtheit der Psyche und die vielen daraus unterlassenen Entwicklungspflichten. Aus diesem Grunde sollte man sich dieses Verhältnis von einer frei gewählten Entwicklung, die nicht in der Krankheit und in dem Versuch, von einer misslichen Lage freizuwerden, besteht, vergegenwärtigen. Sodann überlege man sich, welche Entwicklungen sich als nächste Zielpunkte erfassen lassen und schreite beispielsweise mit mutiger Ausrichtung in die Verwirklichung einer nächsten Dimension.
Bereits im letzten Beitrag wurde angekündigt, dass Beispiele, wie diese Entwicklung eine Formgestaltung erhalten kann, folgen werden. Die nun hier dargelegte Beschreibung der Situation einer Krankheit und derjenigen einer freien Entwicklung erscheint jedoch noch einmal grundlegend, um sodann in einem nächsten Beitrag die folgenden Beispiele besser verstehen zu können.