Gesetze der Gesundheit V –
Die Spannkraft der Wirbelsäule und die Depression

Artikel von Heinz Grill

Wie im letzten Artikel beschrieben, bildet sich die wesentlichste Spannkraft der Wirbelsäule hauptsächlich aus ihrer Mitte und somit in ganz besonderem Maße aus der unteren und mittleren Brustwirbelsäule. Wenn dieser Bereich sehr dynamisch und aktiv im Einsatz ist, sensibel den zervikalen Abschnitt nach oben levitiert, entlastet sich der untere Rücken aus seinen bedrängenden und erschöpfenden Schweregefühlen. Welche psychischen Aktivitäten fördern neben einigen Körperübungen diese Spannkraft aus den mittleren Wirbelsäulenabschnitten? Die Aktivitäten, die ein Mensch leisten kann, sind zunächst einmal auf den Körper bezogen und des Weiteren sind sie immer auch bewusste, zielorientierte und mentale oder sensible Bewegungen. Auf diese psychische Aktivität soll hier nun die Aufmerksamkeit gelenkt werden.

Am meisten leidet die Spannkraft der Wirbelsäule durch das Erscheinungsbild der Depression. Der Kopf erscheint in diesem Krankheitsbild gedrückt, schwer und dem Einzelnen, der unter dieser Kondition leidet, fehlt nicht nur die Spannkraft zum Aufrichten, sondern das Interesse des In-Beziehung-Tretens mit Anderen. Die Neigung zur Zurückgezogenheit, mit einem schweren leidenden Blick, der nahezu das Licht in der Umgebung vereinnahmt und den ganzen Körper erdrückt, imponiert. Tatsächlich entwickeln sich Wirbelsäulenbeschwerden, ganz besonders jene des unteren Rückens, und des weiteren Hüftgelenksarthrosen in überwiegendem Maße bei Depressionen.1) Nach einer Studie an 1000 Studierenden in Deutschland leiden heute bereits bis zu 55 % der Studenten an Rückenbeschwerden. Die Diagnosen von Depressionen sind ebenfalls von verblüffendem Anstieg. Siehe: Pressemitteilung der TK (abgerufen am 1.6.2024.) Die ganze obere Körperpartie drückt mit der Schwerkraft auf die untere und verhindert ein natürliches, lebendiges, stoffwechselinteraktives Zirkulieren von dem aufbauenden Chondroitinsulfat mit seinen Aminen und Glukoseanteilen sowie von weiteren Mineralien, die für das Bindegewebe wichtig sind. Die Knorpelsubstanzen und die Bandscheiben sind bindegewebsartig und benötigen zu ihrer spannkräftigen Erhaltung eine Art Entlastung, damit sie die Nährstoffe wie ein Schwamm wieder einsaugen können. Eine bewegliche und dynamische Muskulatur ist hierzu sehr förderlich.

Wenn diese Mitte in der unteren und mittleren Brustwirbelsäule geschwächt ist, neigt die Psyche ganz naturgegeben zu Rückzugsverhalten, Sammlung von Reserven2) Das Sammeln von Reserven mag wohl als Reaktion auf die so häufig auftretende Erschöpfung notwendig erscheinen. Indem man aber Kräfte zurückhält, die eigentlich sinnvoll eingesetzt werden könnten, und indem man gesunden Lebens- Entwicklungsanforderungen ausweicht, kann auf längere Sicht kein günstiger und freudiger Aufbau von Lebenskräften stattfinden. Man beschwert sich mit den Reserven zunehmend selbst und begibt sich mit diesen in eine Art inneres Gefängnis. und Meidung von Herausforderungen. Man achte nun auf den Zusammenhang zwischen der Sinnesaktivität und der Spannkraft der mittleren Wirbelsäule. Treten die Augen tatsächlich mit den Erscheinungen des Lebens in Beziehung, nehmen sie die Farben, Formen und Einzelheiten wahr? Wenn der mittlere Bereich im Rücken geschwächt ist, ziehen sich in der Regel die Sinne auf unphysiologische Weise in sich zurück und das einzelne Individuum lebt nicht mehr in einem natürlichen beziehungsfreudigen Austausch, sondern in einem Gefühl des Reserveverhaltens und des unnatürlichen Erschöpft-Seins.

Ist die Brustwirbelsäule aktiv und angehoben, öffnen sich die Sinne, während beim Fehlen dieser Dynamik der Übende mehr in seinem Körper wie gefangen bleibt. Der Unterschied, obwohl er bei den abgebildeten Turnerinnen sehr fein ist, wirkt physiologisch und psychisch sehr stark.
Zeichnung Andrea Partheymüller-Gerber

Wenn der Übende sich diese im letzten Artikel vorgestellten einzelnen Übungsansätze vergegenwärtigt und sie in verschiedenen leichten und anspruchsvolleren Variationen praktizieren lernt, kann er weiterhin während des täglichen Daseins auf die Art und Weise achten, wie er in Beziehung zu seinen Mitmenschen und zu den Phänomenen der Welt tritt. Die Beziehung, wie sie gestaltet und hergestellt wird, ist für die Wirbelsäule und ihre gesunde nährstoffreiche Versorgung bedeutungsvoll. Jede beziehungsvolle Tätigkeit benötigt eine Sinnesentwicklung zu den weltlichen Phänomenen und sie verlangt ein wirkliches Aufrichten. Je mehr Lethargie oder gar Schläfrigkeit vorherrschen, desto weniger ist der Mensch im aktiven Strom des Wahrnehmens und des bewussten Erlebens der Außenwelt sowie auch seiner eigenen Innenwelt. Eine Erschöpfung, die heute so häufig ist, drängt den Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch in ein Rückzugsverhalten und ein Sammeln von Reserven. Jener aktive Anteil des Sich-Wirklichen-In-Beziehung-Fühlens und des Sich-Im-Gesunden-Strom-der-Wahrnehmung-Befindens ist dann erheblich reduziert.

Stellt man beispielsweise durch sorgfältige Beobachtung fest, dass man viel zu weit in Reservehaltungen bleibt und sich vor vielen Einflüssen des Tages schützen möchte, so sollte man sich einen Plan machen, wie man in wachsendem Maße zu Kollegen, Freunden, Verwandten oder allgemein zu den Mitmenschen in Beziehung tritt. Das Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst bildet den Anfang einer Krankheitssituation, denn es fehlen die natürlichen, wechselseitigen und lebendigen Ströme eines wahrnehmenden Integriertseins.

Der Einzelne benötigt heute eine bewusste und zielführende Aktivierung seines Potenzials von Denken, Fühlen und schließlich des Handelns. Man muss sich jeden Tag beziehungsaktive Schritte vornehmen und gegen lethargische Phasen und allerlei depressive Stimmungen ein Aufrichten praktizieren. Es wird heute sehr viel die Wortformel benutzt, man solle auf seinen Körper hören. Genau genommen kann man auf den Körper nicht wirklich „hören“, denn dieser ist den materiellen Gesetzen und energetischen Einflüssen von außen unterworfen. Was könnte es aber idealerweise bedeuten, auf den Körper zu hören? Sicherlich ist es wichtig, die Symptome am Körper zu bemerken und sie deuten zu lernen. Für den Lernschritt einer Beziehungsaktivierung muss man zwischen wirklichen körperlichen Bedingungen und Emotionen unterscheiden können. In einer Depression oder in einer Verzagtheit drängt das emotional behaftete Gemüt die Aufmerksamkeit in einen Rückzug und viele unbewusste Ängste wollen eine Art Ruhe und Erholung gewinnen, die es aber nicht wirklich gibt.

Aus diesem Grunde darf derjenige, der die eigene Selbstbestimmung zur Gesundheit übt, sich nicht den Emotionen preisgeben, die sich vonseiten des erschöpften Körpers spiegeln. Er muss sich jeden Tag neue beziehungsvolle Schritte vornehmen, sich aufrichten und Themeninhalte bearbeiten, Kommunikation aufsuchen und sich somit in seinen Emotionen überwinden.

Die aktive Ausrichtung zu einer Beziehungsaufnahme und am besten zu einem einigermaßen anschaulichen Thema, fördert gerade jene Kräfte, die die Wirbelsäule ganz automatisch zum Aufrichten mobilisieren. Wenn sich jemand ertappt, kein Interesse in sich selbst vorzufinden, so muss er sich dennoch zu Beziehung und Interesse, zu bewusster Wahrnehmung verschiedener Phänomene und zu Anteilnahme an den Mitmenschen erziehen. Nicht auf den Körper mit all seinen emotionalen Auf- und Niedergängen sollte deshalb der Übende hören, sondern sich Ziele setzen, die über die Launen von Sympathie und Antipathie, von Gewinn und Verlust hinausgehen. Eine schöne Beziehungssphäre eröffnet sich durch längere Aufmerksamkeit zu den Mitmenschen oder zu Themen, die gemeinsam erarbeitet werden.

In einem depressiven Gestimmtsein fällt die Kontaktaufnahme mit den Sinnen und mit der gesamten gedanklich orientierten Wahrnehmungsfähigkeit
schwer. Dennoch sollte sich der Mensch dazu erziehen, dass er nicht in diesen Stimmungen bleibt.
Foto: L. Franken

„Ich bin eben depressiv.“ Viele Menschen geben sich leider mit diesen Diagnosen zufrieden und richten sich dadurch nicht mehr zu nächsten Zielen, die gerade aber heilsam sein könnten, auf. Man kann sich die Frage stellen: Überlasse ich mich den Gefühlen oder richte ich mich zu einer bewussten Aktivität, zur Beziehungsaufnahme oder thematischen Auseinandersetzung auf?
Foto: L. Franken

Der Zusammenhang von dem mittleren Wirbelsäulenabschnitt zur Augenpartie und zu einem offenen Gesicht lässt sich deutlich studieren. Wenn die Mitte einknickt, leidet auch die mentale Offenheit.
Zeichnung Angeika Gigauri


Anmerkungen

Anmerkungen
1 Nach einer Studie an 1000 Studierenden in Deutschland leiden heute bereits bis zu 55 % der Studenten an Rückenbeschwerden. Die Diagnosen von Depressionen sind ebenfalls von verblüffendem Anstieg. Siehe: Pressemitteilung der TK (abgerufen am 1.6.2024.)
2 Das Sammeln von Reserven mag wohl als Reaktion auf die so häufig auftretende Erschöpfung notwendig erscheinen. Indem man aber Kräfte zurückhält, die eigentlich sinnvoll eingesetzt werden könnten, und indem man gesunden Lebens- Entwicklungsanforderungen ausweicht, kann auf längere Sicht kein günstiger und freudiger Aufbau von Lebenskräften stattfinden. Man beschwert sich mit den Reserven zunehmend selbst und begibt sich mit diesen in eine Art inneres Gefängnis.

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