Artikel von Heinz Grill Teil 5
Der Personenkult
Mit dem Begriff Personenkult bezeichnet man üblicherweise eine überdurchschnittliche Verehrung und Glorifizierung einer Person, die eine angenommene oder durchaus real nachvollziehbare Vorbildfunktion besitzt. Neben den in politischen, gesellschaftlichen, sportlichen oder kulturellen Bewegungen stattfindenden Ideologisierungen tritt der Personenkult ganz besonders in Kirchen und in religiösen Gruppierungen auf. In der Regel schreibt man der verehrten Person, wie dem Papst oder einem religiösen Führer ein überdurchschnittliches Maß an Charismen zu, die derartig genial sind, dass sie unnachahmbar, unfehlbar und unerreichbar für den Normalbürger erscheinen. Eine hinzukommende Mythisierung drückt sich meist in Kulthandlungen und einer sogenannten Apotheose, einer Vergöttlichung aus.
Betrachtet man einen typischen Personenkult, so kommt meist die Glorifizierung der Person mehr als ihr reales Werk, als ihre Aussagen und tatsächlichen erbrachten Leistungen zum Vorschein. Jene Attribute, die eine wirkliche und tiefsinnige Persönlichkeit rechtfertigen, treten in diesen antipathischen Verehrungskulten zurück und oberflächliche, von Gruppenstimmungen getragene Gefühle beginnen zu dominieren. Anhänger und Verehrer projizieren ihre ideologisierenden Emotionen auf eine gewählte Führerfigur und erheben diese zum unkritisierbaren Genie, zur anbetungswürdigen Leitfigur oder gar zu Gott. Ohne Emotionen und Projektionen und ohne Gruppengeistigkeit könnte ein Personenkult niemals entstehen.
Die Zeitung gelangt durch ihre „unermüdliche Recherche“ zu dem Ergebnis, dass um meine Person ein Kult mit größter Verehrung bestehe, der sogar einmal das Ziel angestrebt habe, eine sofortige Heiligsprechung bei der Kirche zu bewirken. Vielleicht schlich sich ein administrativer Fehler bei den hochaktiv tätigen Journalisten ein und es konnten infolge der Fülle des umfangreichen Stoffes die Namen nicht mehr voneinander unterschieden werden. Christine B., die in Südfrankreich verstorbene Ärztin hielt in München in ihrem Zentrum regelmäßige sogenannte Darshanveranstaltungen, das sind jene indischen Kulthandlungen, bei denen sich die göttliche Person ihren Devotees gegenüber zeigt. Sie war die Mitte der Anbetung. Die Rituale gehen meist mit Gesang und Verneigungen vor sich. Dieser administrative Fehler der Namensverwechslung muss sich wohl in die Ausarbeitung eingeschlichen haben, denn bei mir gibt es keine Verehrungsrituale, keine Glorifizierungen und nicht einmal organisierte Gruppen, in denen besondere Rezitationen oder zeremonielle Hingabe stattfinden könnten. Vielleicht stellen einzelne Personen Bilder auf ihr Nachtkästchen und sicherlich gibt es Personen, die gerade die Yogaübungen wegen ihrem künstlerischen Ausdruck schätzen. Die Handlungen der Verehrung und schwärmerische Verneigungen fehlen jedoch in allen Seminaren und allen Veranstaltungen, bei denen ich unterrichtet habe.
Ein Personenkult kann wohl nur dann eintreten, wenn anstelle der inhaltlichen, philosophischen, pädagogischen oder künstlerischen Darstellungen eine reine emotionale Schwärmerei oder projektive Mythisierung stattfindet. Für diese eigentümlichen emotionalen Handlungen hat sich bis heute wegen des großen inhaltlichen Bedarfes in Seminaren noch kein Raum gefunden. In einem Glorifizierungskult haben Inhalte wenig Platz und es wird eine Person zum Idol stilisiert, auf ein Podest gehoben und mit irrationalen, übermenschlichen Charismen geschmückt.
Das Gegenbild des Personenkultes – der Ausschluss der Person
Das Gegenbild eines Personenkultes äußert sich im Vergleich hierzu durch eine pedantische Rationalität, die sich in ausschließlicher Form den Fakten widmet und den Menschen quasi außer Acht lässt. Die moderne Kultur mit ihren vielen materialistischen Tendenzen könnte nahezu den Glauben erwecken, dass alle großen Errungenschaften ohne die schöpferische Phantasie des Menschen beginnen und der Computer ein weitaus besseres Gehirn darstelle, als es das menschliche ist. Indem man den Menschen in seiner zentralen, initialen und geistigen Bedeutung aller Leistungen anonymisiert, entwickelt sich die Konsumgesellschaft mit einem grotesken Ausschluss der menschlichen Würde.
Kultbewegungen mit einseitigen Verehrungeszeremonien und materialistische, anonyme Industrien sind wie zwei große Pendelschläge der heutigen Zeit. Infolge der Verhärtungen, die die Technik und die Kontrollsysteme produzieren, flüchten viele Menschen in religiöse Gruppen, Kirchen und wenden sich in Abhängigkeiten der Esoterik hin. Die Suche nach dem einflussreichen religiösen Führer und eine einseitige Anbindung an einen zum Idol stilisierten Meister dürfte aus einer Schwäche der persönlichen Denk- und Gemütskräfte entstehen. Dieser grundsätzliche bereits bestehende Mangel an natürlicher Spiritualität ist die Ursache des Scheiterns aller Religionen. Wäre das religiöse Leben intakt, so gäbe es keinen degenerativen Materialismus.
Innerhalb religiöser Sektoren, gleich ob es sich um Kirchen oder um eine neue religiöse Bewegung handelt, könnte man jeglichen Personenkultus vermeiden, wenn man den Menschen, der eine besondere Rolle in der Mitte der Gemeinschaft bildet, näher studieren und den Zusammenhang zwischen ihm und seinem Werk erfassen würde. Der Personenkult bewirkt einen Ausschluss des Essentiellen und des wahren Persönlichen. Könnte eine Architektur ohne den Gedanken und ohne die geistige Arbeit eines Architekten entstehen? Indem ein Betrachter eine spezifische Architektur beobachtet, nimmt er in der Seele die geistigen Grundstimmungen und Gedankengänge des Architekten auf. Spiritualität lebt nicht oder vielleicht sogar am wenigsten in Gruppierungen, die sich spirituell nennen, sie lebt vielmehr an jenen Orten, an denen durch den Menschen etwas genial Schönes oder phantasievoll Sinnhaftes geschaffen wird. Der Mensch in seiner Einzigartigkeit bringt Spiritualität hervor und diese ist an den Inhalten und Äußerungen wägbar.1) Es ist diesem Zusammenhang die Äußerung von Papst Franziskus interessant, der gerade im Gebrauch der Vernunft die größte Gefahr sieht: „Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, dass er sich von den Irrlichtern der Vernunft führen lässt. Ein solcher Mensch ist ein intellektueller Ignorant. (…)“ Quelle: Papst Franziskus, Erziehen mit Anspruch und Leidenschaft, Herder Verlag 2014, S. 55
In der Aufklärung jedoch wird der eigenständige Gebrauch des Verstandes als Voraussetzung zur Mündigkeit angesehen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?.
Die Zeitung jedenfalls entwickelt mit meiner Person eine Art negativen Personenkult, indem sie diese in die Nähe von Kriminalität rückt. Der unbefangene Leser wird in eine Wirklichkeit geführt, die nicht existent ist, die aber durch das Schreiben des Artikels in eine Art Pseudowirklichkeit zur Projektion erhoben wird. Jeder Journalist oder Autor entwickelt Gedankengänge, die er durch die Kraft seiner Phantasie oder realen Beobachtung enwickelt und in der Folge niederschreibt. Die Tätigkeit des Schriftstellers oder des Journalisten ist schöpferisch und das Produkt, das er zum Entstehen führt, gelangt in die Welt.
Was geschieht jedoch mit Menschen, die eine Phantasiegeschichte dieser Art erfinden? Sie erschaffen eine Realität, sie sind ebenfalls geistig tätig, da sie Gedanken zu Wirklichkeiten kreieren. Aber dieses Werk ohne tatsächliche Realität ist vergleichbar mit dem Giralgeld in den Banken oder ist wie ein Auto ohne Motor. Die substanzlose Leere, die mit dem Zeitungsartikel geschaffen wurde, führt bei den Lesern, aber vor allem bei den Schreibern und bei den Personen, die diesen Artikel beauftragt haben, zu einer inneren Aushöhlung. Es entstehen gerade jene Bedingungen, in denen der Mensch das wertvollste, das er besitzt, sein eigenes Selbst, seine Kraft aus einem Zentrum zu leben und dieses Zentrum ebenfalls im Universum zu fühlen, verliert. Menschen werden durch die Pseudowirklichkeiten, die sie selbst schaffen und die sie ebenfalls Anderen präsentieren zu marklosen Menschen. Es wird eine Wirklichkeit erschaffen, die auf Diffamierung anderer beruht und scheinbar den guten Zweck verfolgt, die Gesellschaft vor einem geistigen Einfluss zu retten. Um zur Selbsterkraftung im Menschsein zu gelangen, muss sich der Einzelne sowohl an der irdischen als auch an der seelischen und geistigen Wirklichkeit orientieren.
Die Gurutradition des indischen Geistlebens müsste sich anlässlich dieses Artikels regelrecht gekränkt fühlen, denn die Bezeichnung Guru wird pejorativ, das heißt besonders schlechtmachend benützt.2) Der Guru ist nach der indischen Tradition durch die Lehre, durch die Vorbildfunktion und vor allem durch seinen Einfluss definiert. Siehe Sri Aurobindo u.a.
In der indischen Tradition sitzt der Lehrer erhöht und der Schüler zu seinen Füßen.
Ich erinnere mich, wenn ich mir erlaube einmal persönlich eine Erfahrung zu berichten, an eine kleine Episode, die etwas mehr als zwanzig Jahre zurückliegt. Ich wurde zu einem Vortrag in Bad Häring gebeten und nahm meinen Platz auf dem Boden sitzend vor einer großen Gruppe Zuhörer ein. Es waren die verschiedensten Teilnehmer im Saal, Ältere, Jüngere, Anthroposophen und Yogapraktizierende. Die älteren Teilnehmer und die Anthroposophen nahmen nach der Gewohnheit einen Stuhl und da manche ein nicht mehr so gutes Gehör hatten, rückten sie sich mit ihrer Sitzposition relativ weit nach vorne. An diesem Tag war meine Sanskritprofessorin aus Indien als Begleitung anwesend und nahm, wie sie es als Brahmanin und traditionelle Universitätsdozentin gewohnt war, sehr genau Kenntnis der Situation. Es dauerte einige Zeit bis der Saal ganz gefüllt war und alle Zuhörer ihren Platz eingenommen hatten, sodass ich mit meinen Ausführungen noch warten musste. Während des dann stattfindenden Vortrages glitt mein Blick immer wieder hinüber zu der Sanskritlehrerin, die in ihren indischen Sari gekleidet normalerweise immer ein Lächeln auf den Lippen trug, jedoch diesmal mit getrübtem Haupt den Blick zum Boden senkte. Waren es meine Sanskritrezitationen, die so schlecht waren, sodass sie mich nicht mehr mit ihren unschuldigen Augen anblicken wollte? Nein. Sie konnte die Szene im Saal nicht ertragen. Nach dem Vortrag äußerte sie mit hochernsten Stimme: „Heinz, Du wirst tief fallen, wenn Du duldest, dass Personen im Saal höher sitzen als Du und sogar Du der Wartende bist und die Zuhörer nicht angemessen pünktlich kommen.“
Es dauerte nur noch zwei Jahre und die Prophezeiung von ihr bekam erstmals Substanz. Diejenigen, die höher gesessen waren und jene, die keinen Wert auf Pünktlichkeit gerichtet hatten, schlossen mich aus dem Referentendasein aus und entwickelten ein gruppenmäßiges elitäres Verständnis von Spiritualität. Sie fühlten sich wie die Schwäne unter Gänsen als ein besserer Teil der Gesellschaft und blickten auf alle Anderen gewissermaßen von oben herab.
Die Sanskritprofessorin besaß aus ihrer Tradition als Brahmanin gerade jene Erfahrung der gesellschaftlichen Ordnungen. Werden diese verletzt, entstehen nicht nur Konfusionen sondern menschliche Schicksale mit dem Charakter von falschen Erhöhungen und einseitigen Klassifizierungen. Der Ausschluss meiner Person entstand gerade durch jene, die bei mir einmal gelernt hatten, da diese den Gruppentendenzen unterlagen und das materialistische Element der Spiritualität etablierten. Trotz der Belehrungen meiner eigenen Sanskritlehrerin wollte und will ich mich bis zum heutigen Tag nicht an äußeren Regelverordnungen orientieren. Die natürliche Einordnung muss meines Erachtens weniger durch Vorschriften und mehr durch die Vernunft und das Verständnis des Einzelindividuums zum Begriff der Moralität geleistet werden. Spiritualität sollte im besten Falle zur größeren und natürlicheren Ordnung beitragen und Regeln dürfen maximal sekundären Charakter besitzen.
Einige wenige, die neben meiner Person unter dieser Ausgrenzung litten, forderten mich auf, den elitären Wortführern der Gruppe zu zeigen, wer der Chef sei. Ich antwortete: “Wenn ich anderen zeige, dass ich Wesentliches zu sagen hätte, und dass Regelment an mich reiße, gelange ich gerade in die Rolle des Direktors. Ich warte bis die Vernunft des Menschen ihre reinigende Dimension entwickelt.”
Der Guru
Die indische Tradition besitzt sehr strenge Regeln und vielseitige Systeme des Lehrens in Form von shruti, den wörtlichen Anweisungen von Mensch zu Mensch. In diese Tradition ist der Guru eingebunden. Für den Westen ist der Begriff Guru schwer zu verstehen und da die Schreiber des Artikels sicherlich einen kirchlichen Hintergrund aufweisen, müssen sie sich vielleicht doch noch einigen Studiengängen zur Erweiterung ihres begrifflichen Weltanschauungshorizontes widmen.
Das Wort Guru besteht aus der Silbe gu, die so viel wie Dunkelheit bedeutet und der Silbe ru, die mit vertreiben übersetzt werden kann. Derjenige, der in Indien als Guru bezeichnet wird, vertreibt die Dunkelheit, indem er die schwere Last der Unwissenheit avidya durch seine Lehren des vidya, des Wissens, auflöst. Im Westen jedoch verblieb nur die erste Silbe, die Schwere, und der Guru wird im Allgemeinen pejorativ als der abhängigmachende Lehrer wahrgenommen.3) In den Textsammlungen des Shivaismus etwa im 4.-5. Jahrhundert nach Christus, in der sogenannten Guru-Gita, wird ein sehr persönliches Verhältnis vom Schüler zum Guru beschrieben. Die Bedeutung dieses Verses ist heute kaum nachvollziehbar, da man früher die persönliche Begegnung mehr schätzte, als heute in einer Zeit, in der man sehr viele Lehrmethoden, Lehrmittel und Bücher kennt.
Dhyāna mūlaṁ guror mūrtiḥ pūjā mūlaṁ guroḥ padam
Mantra mūlaṁ guror vākyaṁ mokṣa mūlaṁ guroḥ kṛpā.
Skanda-Purana, Guru Gita, Vers 76
Übersetzung:
„Die Meditation bildet sich aus der Gestalt des Guru,
die Verehrung gilt den Füßen des Guru [oder besser und freier: aus seinen Spuren, die er hinterließ],
aus dem Wort des Guru bildet sich das Mantra,
das Mitgefühl des Lehrers schenkt die Befreiung.“ s. Guru Gita
Ich selbst habe mich mein Leben lang gegen die Bezeichnung des Guru, gegen die Traditionen der Nachfolge, der sogenannten Sukzession, die es nicht nur im Kirchlichen, sondern auch in Gurusystemen gibt, gewendet.4) In der indischen Tradition ist paramparā die Sukzession, in der der Fluss des heiligen Wissens vom Guru auf den Schüler übertragen wird. Der Guru steht in der Übertragungslinie, sampradāya seiner Vorgänger. Ganz besonders mied ich jegliche rituelle Zeremonie. Einige Personen, die mich dennoch mit Gewalt zum Guru benannt haben und die Bequemlichkeit vorzogen in passiv verehrenden Gefühlen zu bleiben, sind heute vielfach Gegner geworden. Infolge ihrer Enttäuschung keinen perfekten Guru vorzufinden, sondern einen Menschen mit Schwächen und sogar aufbrausenden Emotionen, verwerfen sie mich. Sie wollen nicht ein wirkliches taugliches und freies Lehrverhältnis, sondern ein Idol und wenn dieses nicht nach vorgefassten Erwartungen erfüllt wird, entstehen Projektionen und Konflikte. Diese Personen werden dann zur wirklichen irrationalen Autorität und richten nicht nur über mich, sondern über viele Andersdenkende. Meist treten sie in spirituelle Richtungen mit großen Wahrheitsansprüchen ein, in denen sie selbst sehr unfrei sind.
Der soziale Prozess überwindet Wahrheitsansprüche und führt zu Kritikfähigkeit
Ich entwickelte aus meiner Lehrtätigkeit den sogenannten sozialen Prozess. Die Begegnung zwischen einem Lernenden und einem Lehrenden muss eine streng inhaltliche darstellen und sollte keinesfalls von zeremoniellen Riten begleitet sein. Die schwärmerische Verehrung ohne Inhalt prädestiniert zu Konflikten, während die inhaltliche Auseinandersetzung in Gegenseitigkeit und Aufmerksamkeit, eine produktive, lernfähige Zukunftsvision eröffnet. Ein spiritueller Lehrer muss sich meines Erachtens der Kritik mit Rationalität und Klarheit stellen, ähnlich wie ein Lehrer, der Mathematik oder Sprache unterrichtet. Sind seine getätigten Lehranweisungen und Aussprüche nachweisbar fehlerhaft oder erscheinen sie ungenügend, so sollte eine Diskussion mit korrektiven Inhalten erfolgen. Jedoch diskutiert niemand mit mir über die Fehler, Schwächen oder über Mängel in meinen Beschreibungen. Der Versuch der Zeitung eine Kritik anzubringen könnte, wenn auch sehr unbeholfen, ein erster Baustein für die Zukunft sein und vielleicht, wenn man viel Geduld übe und kollektive Gruppengefühle des Rechthabens zerschlagen könne, gelange man sogar noch zum sozialen Prozess.
Wenn die Situation so wäre wie es die Zeitung beschreibt, so würde sie ein irreales Glaubenssystem mit hocharrogantem Charakter aufdecken. Dieses Glaubenssystem, das aufgedeckt werden sollte, müsste man auf einer Entdeckungsreise erst einmal in Italien vorfinden. Diese Reise wäre sicher spannend, denn sie würde zum Beispiel in das Gebirge führen, auf karste Höhen und steile Felsen mit unüberschaubaren Pfeilern und Türmen. Die Autoren des Artikels bemühen sich dennoch und schreiben, dass den Yogaasana von mir eine magische Bedeutung zugewiesen wird und versuchen wiederum diese in die spiritistische und mystifizierte Ebene zu führen. Sprechen sich nun Sachverständige des Yoga aus, wenn sie den Begriff “Magie” für eine Yogaasana benützen? In Wirklichkeit ist gerade der Yoga, wie er von mir verstanden wird, frei von magischen Gebräuchen, zauberhaften Andichtungen und sogar frei von energetisierenden Zweckmaßnahmen. Die Übung stellt sich unmittelbar der Anschauung gegenüber und öffnet sich der progressiven Forschung. In jenem Maße, wie der Einzelne sich mit der Übung auseinandersetzt, sie durchdringt und praktiziert, wird er sein Bewusstsein schulen. Magie und Energie ist jedoch von den Übungen nicht zu erwarten.5) Im Gegensatz zur Auslegung der asana im Sinne einer seelisch-geistigen Betrachtung belegen viele Autoren die physischen Wirkungen auf der Basis von Energie. Jedoch ist die Bezeichnung, dass asana eine magische Wirkung haben unangebracht, denn sie haben konkrete nachweisbare Wirkungen.„Āsanas haben eine tiefgreifende Wirkung auf Körper und Geist. … Āsanas sind psychosomatische Übungen, die eine stärkende und ausgleichende Wirkung auf das gesamte Nervensystem haben und die psychische Verfassung des Übenden harmonisieren und stabilisieren. Gelassenheit und geistige Ruhe, Entspannung und ein Gefühl von innerer Freiheit und Frieden sind die Wirkungen, die durch diese Übungen erzielt werden.” Quelle: Paramhans Swami Maheshwarananda, Yoga im täglichen Leben, Ibera Verlag 2000, S. 17
Die Verwendung von Pejorativa erschwert leider für den Leser jegliche inhaltliche Auseinandersetzung und erlaubt eine ungemeine Verzerrung des Persönlichen, eine Verzerrung, die im Artikel so erscheint, als ob es einen Personenkult ähnlich wie bei Kirchen geben würde. Die Schreiber des Artikels scheinen nicht große Experten des Yoga, der Spiritualität und der Philosophie zu sein. Dennoch haben sie größte Sorgfalt und Phantasie aufgewendet, Textstellen oder Hypothesen zu finden, die eine Warnung vor meiner Arbeit rechtfertigen könnte.
Kritik bedeutet nicht Diffamierung
Wenn man einen anderen Menschen als Guru beschimpft und ihm öffentlich eine Gruppe andichtet, die es in ihrem funktionalen Bestehen gar nicht gibt, müsste man zumindest Rücksicht darauf nehmen, wie man Begriffe gebraucht und in den Zusammenhang stellt. Ich erinnere mich, dass ich einmal bei einem Vortrag vor einem anthroposophisch geschulten Publikum über die unangemessene Bedeutung des Gurus für die gegenwärtige Zeit und für die westliche Kultur sprach. Eine typische Linie des Yoga mit Guruverständnis ist nach meiner Auffassung in der westlichen Kultur nicht integrierfähig. Am Ende des Vortrages kam ein Zuhörer auf mich zu und brachte mir jene konstruktive Kritik entgegen, dass in meinem Vortrag der Guru mit seiner unzeitgemäßen Bedeutung für den Westen schlüssig dargelegt worden war, dass ich aber bei einer nächsten Darstellung unbedingt darauf achten solle, den Guru im Sinne der Yogatraditionen zu würdigen und zu wahren. Da dieses Element in meinem Vortrag noch gefehlt hatte, fühlte sich dieser Zuhörer wohl zu Recht nicht ausreichend wahrgenommen. Er folgte, wie er zugestand, einer traditionellen Yogarichtung mit einem Guru.
Kritik ist in jeder Weise wünschenswert, denn sie führt Menschen zueinander und erschafft in ihrer Konstruktivität neue Möglichkeiten. Für die Erlangung des sozialen Prozesses ist die Kritikfähigkeit sogar notwendig. Werden Personen jedoch in der Öffentlichkeit diffamiert, mit falschen Berufen benannt und Hypothesen von Gefahren, die es nicht gibt, aufgestellt, entsteht ein erstaunlich weit ausgedehntes und projektives Gegenbild zur freien Spiritualität. Die Zeitung erschafft einen negativen Persönlichkeitskult, indem sie die genannte Person, das heißt mich, in ein ganz eigentümliches, einflussreiches Licht rückt. Der Guru ist nach den indischen Lehrern immer eine Person, die im besten Sinne sehr viel positiven Einfluss auf die Gesellschaft und das Leben ausstrahlt. Nun ist eine weitschweifende Aussage durch die Zeitung in die Geburt getreten, die von Gefahren berichtet, und eine Wirklichkeit erschuf, die es bei realer Begutachtung der Fakten jedoch nicht gibt. Aber diese Wirklichkeit wurde durch die Berichterstattung erschaffen. Ab jenem Moment nimmt sie eine gegenwärtige psychische Gestalt an, ab dem sie von vielen, die die Zeilen lesen und die ihnen Glauben schenken, individuell und kollektiv weitergetragen wird. Welche unsagbare Leere verbleibt in den Seelen derer, die sich diese eigentümliche sinnwidrige Arbeit auferlegt haben und in der Welt ein Phänomen der Pseudowirklichkeit erzeugen. Einer freien Spiritualität jedoch muss immer das Gegenbildnis vorausgehen. Gerade zu jenem Zeitpunkt, an dem Kirchen und religiöse Gruppierungen ihrem Ende zusteuern, müssen die Bemühungen, die bereits der Zeit vorauseilen, aufs maximalste verurteilt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Die Verwerfung jedenfalls ist ein nicht unwesentlicher Teil zur individuellen Erkraftung der Spiritualität.
Es folgt ein sechster Teil mit der Fragestellung: Welche Bedeutung besitzt das Rechtsleben für die Spiritualität?
Anmerkungen
⇑1 | Es ist diesem Zusammenhang die Äußerung von Papst Franziskus interessant, der gerade im Gebrauch der Vernunft die größte Gefahr sieht: „Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, dass er sich von den Irrlichtern der Vernunft führen lässt. Ein solcher Mensch ist ein intellektueller Ignorant. (…)“ Quelle: Papst Franziskus, Erziehen mit Anspruch und Leidenschaft, Herder Verlag 2014, S. 55 In der Aufklärung jedoch wird der eigenständige Gebrauch des Verstandes als Voraussetzung zur Mündigkeit angesehen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?. |
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⇑2 | Der Guru ist nach der indischen Tradition durch die Lehre, durch die Vorbildfunktion und vor allem durch seinen Einfluss definiert. Siehe Sri Aurobindo u.a. |
⇑3 | In den Textsammlungen des Shivaismus etwa im 4.-5. Jahrhundert nach Christus, in der sogenannten Guru-Gita, wird ein sehr persönliches Verhältnis vom Schüler zum Guru beschrieben. Die Bedeutung dieses Verses ist heute kaum nachvollziehbar, da man früher die persönliche Begegnung mehr schätzte, als heute in einer Zeit, in der man sehr viele Lehrmethoden, Lehrmittel und Bücher kennt. Dhyāna mūlaṁ guror mūrtiḥ pūjā mūlaṁ guroḥ padam Mantra mūlaṁ guror vākyaṁ mokṣa mūlaṁ guroḥ kṛpā. Skanda-Purana, Guru Gita, Vers 76 Übersetzung: „Die Meditation bildet sich aus der Gestalt des Guru, die Verehrung gilt den Füßen des Guru [oder besser und freier: aus seinen Spuren, die er hinterließ], aus dem Wort des Guru bildet sich das Mantra, das Mitgefühl des Lehrers schenkt die Befreiung.“ s. Guru Gita |
⇑4 | In der indischen Tradition ist paramparā die Sukzession, in der der Fluss des heiligen Wissens vom Guru auf den Schüler übertragen wird. Der Guru steht in der Übertragungslinie, sampradāya seiner Vorgänger. |
⇑5 | Im Gegensatz zur Auslegung der asana im Sinne einer seelisch-geistigen Betrachtung belegen viele Autoren die physischen Wirkungen auf der Basis von Energie. Jedoch ist die Bezeichnung, dass asana eine magische Wirkung haben unangebracht, denn sie haben konkrete nachweisbare Wirkungen.„Āsanas haben eine tiefgreifende Wirkung auf Körper und Geist. … Āsanas sind psychosomatische Übungen, die eine stärkende und ausgleichende Wirkung auf das gesamte Nervensystem haben und die psychische Verfassung des Übenden harmonisieren und stabilisieren. Gelassenheit und geistige Ruhe, Entspannung und ein Gefühl von innerer Freiheit und Frieden sind die Wirkungen, die durch diese Übungen erzielt werden.” Quelle: Paramhans Swami Maheshwarananda, Yoga im täglichen Leben, Ibera Verlag 2000, S. 17 |
Ich bin über den Zeitungsartikel auf Ihre Seite gekommen. Ich finde, Sie machen hervorragende Arbeit. Mir ist schon beim Lesen des Artikels in der SZ aufgefallen, dass wenig Fakten enthalten sind. Was ich hier lese, ist aber nicht nur etwas völlig anderes als in der SZ, sondern wirklich das genaue Gegenteil. Es ist schon traurig, wenn an sich gute Journalisten sich so weit verbiegen müssen, um ihren Job nicht zu verlieren.
Als wirklich vorbildlich, empfinde ich bei Heinz Grill den Umgang mit seinen Kritikern.
Wenn ich mir vor Augen halte, was es unter diesen Umständen- groben vernichtenden Beleidigungen in einer „renommierten“ Zeitung veröffentlicht- bedeutet, sich mit Geduld und Ausdauer einzelne Themen und Faktenverdrehungen zu widmen, sie inhaltlich richtigzustellen, neu aufzurollen, kann ich nur sagen- Hochachtung! Zunächst war ich noch überrascht angesichts dieser Mühe- zumal im schriftstellerischen Werk und pädagogischen Wirken jegliches Gegenargument bereits enthalten und ausformuliert ist.
Mit den neuen Stellungnahmen wurden mir weitere öffentliche Perspektiven klar.
Die existierende Berichterstattung zu geistigen Gebieten kann die inhaltliche Seite von Spiritualität meist nur streifen, die Begriffe bleiben oft willkürlich interpretierbar.
Eine Begriffsklärung, die Orientierung stiftet, ist privat wie öffentlich wirklich nötig!
Wie Heinz Grill nun aus dem Schlamm der gegnerisch inspirierten Schmähschrift die wichtigsten unterbelichteten Aspekte herausgreift und in Zusammenhang bringt ist sehr produktiv und ich finde, er folgt darin konsequent dem Maximen seiner eigenen Lehre- wenn man das einmal so ausdrückt. Das „immer wieder neu Fassen“ und Denken von Begriffen- z.B. Guru, freie Spiritualität, Lehrer- Schüler Verhältnisse, Sekte- gehört zu seiner Konzeption der Bewusstseinsarbeit. Die Begriffe gewinnen Kontur und können nicht mehr so einfach verdreht werden. Auf die von Oberflächlichkeiten gequälte Seele wirkt das außerordentlich wohltuend.
Außerdem- ist das nicht die beste Antwort auf Anfeindungen, selbst die bösartigsten?
Gleichzeitig wird es von diesem neu geschaffenen Diskussionsniveau aus gleich leichter, die angewandten Methoden der Diffamierung aus besagtem SZ Artikel zu isolieren, als da wären:
1. Absichtsvolles Ignorieren/ Verschweigen der ausgeführten Inhalte und der individuellen Leistung bei gleichzeitigem Behaupten des glatten Gegenteils der aufgestellten Werte- Verdrehung
2. Aktives Herabwürdigen oder Lächerlich machen durch erfundene oder falsch kolportierte Tatsachenfragmente- böses Blut erzeugen
3. soziale Deklassierung – die Person mit mysteriösen dunklen Mächten, falscher Mystik und untergeschobenen verbrecherischen Motiven zu kriminalisieren-
ausgrenzen
Diese Komponenten in kleinste Stückchen fragmentiert, gruslig bebildert und zu einem suggestiven Wortsalat verrührt bringt mit sich: der Leser kann schlecht folgen, übernimmt die negativen Emotionen mit Ekel und wird sich hüten, die Sache inhaltlich nachzuprüfen. So funktioniert Propaganda: sich ein eigenes Urteil zu bilden ist kaum mehr möglich.
Daher ist nachvollziehbar, wie Heinz Grill die seelischen Folgen solcher „Einflussnahmen“ beschreibt: Eine Art innere Schwächung und Aushöhlung des Individuums mit Verlust seiner inneren Selbstkraft. Die Kraft, sich als persönlicher und universaler Teil des Ganzen wahrzunehmen wird bei solchen spirituellen Einflussnahmen in Abrede gestellt.
Es wird dem Leser legitimierend suggeriert, er werde jetzt informiert und vor gefährlichem Einfluss gewarnt, da er diesem unterliegen könne. Was aufklärerisch klingen soll, ist es nicht, da es die eigene Urteilsbildung nicht stärkt, sondern ersetzt.
Das neue Aufarbeiten und Darstellen der Begriffe kann am besten entgegenwirken und das Selber denken befreien. Nicht nur für Menschen wie mich, die sich mit dem Thema bereits beschäftigen, sondern für eine zunehmend interessierte Öffentlichkeit.
Transparenz und vor allem Kommunikation mit den verschiedensten Personen ist das sicherste Korrektiv. Wenn es geheime oder versteckte Strukturen gibt, die in sich selbst abgeschlossen sind, nur den eigenen gemachten Gesetzen folgen, dann entsteht eigentlich immer ein mehr oder weniger unmoralisches Verhalten das den eigenen Vorteil sucht. Das beste Beispiel ist die katholische Kirche mit ihren Missbräuchen oder ihrer bis heute völlig undurchsichtigen Finanzsituation. Der Artikel in der SZ ist tatsächlich weit entfernt von einer Kritik. Die offensichtliche Motivation ist Ihre, Herr Grill, öffentliche Diffamierung. Ihre Darlegungen über Ihr Verständnis von Spiritualität würde ich gerne in Buchform finden – nur als Anregung.
Vielen Dank für diese sehr lesenswerten Ausführungen! Ich bin sichtlich beeindruckt, welch interessante Thematik sich aufgrund des genannten SZ-Artikels doch eröffnet. Eine breitere, öffentliche Diskussion hierzu wäre meines Erachtens durchaus zu begrüßen. Als Anthroposoph erscheinen mir Ihre Ausführungen zu der von Ihnen beschriebenen sogenannten ‚Freien Spiritualität‘ sehr zukunftsweisend. Eben daher wäre eine Reflexion dieser Zusammenhänge in einem weiter gefassten Rahmen wünschenswert.
Vielen Dank für diese ausgesprochen differenzierte Betrachtung. Als Mensch, der nicht nur das medial-politische Zeitgeschehen mit Aufmerksamkeit verfolgt, sondern auch an Spiritualität nicht uninteressiert ist, habe ich mir zunächst gedacht, dass dieser „Guru“-Artikel der Süddeutschen eben nur einer jener Scherbenhaufen ist, den unsere – zumindest von sich selbst überzeugten – Qualitätsjournalisten von Bild & Co. gerne dort, wo sie auftauchen, hinterlassen.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man diesem Artikel sogar noch etwas abgewinnen und daran Wesentliches ersehen und weiterdenken kann, was auch für die allgemeine Gesellschaftssituation von Bedeutung ist.
Bin schon gespannt auf den sechsten Teil Ihrer Ausführungen über den Zusammenhang von Spiritualität und Rechtsleben.