Von Heinz Grill
Es wurde bereits im ersten Artikel vom 2. März über dieses Thema geschrieben, dass Spiritualität, Meditation oder Yoga nicht unmittelbar in das tägliche Berufsleben übertragen werden können, denn alle Spiritualität lebt auf anderer Ebene und braucht eine praktische Ausgestaltung, damit sie für eine umfassende Integration tauglich ist. Wie geschieht diese praktische Ausarbeitung von geistigen Erkenntnissen und meditativen Inhalten?
Der Übende bedarf der Entwicklung eines relativ umfassenden Vorstellungsbewusstseins, das er in verschiedenen Bereichen und Ebenen des Lebens errichtet. Im Allgemeinen ist sowohl die spirituelle inhaltliche Bewusstseinsentwicklung auf eine umfassende Stufe, mit richtigen Erkenntnissen zu entfalten als auch die wissenschaftliche Formung des Berufslebens zu leisten, mit ihrer natürlichen praktischen Fachkunde.
Folgende Gedanken und Vorstellungen können der Orientierung dienen, damit diese integre Synthese geleistet werden kann:
- Ist der Einzelne therapeutisch, pädagogisch, sozial, administrativ, wirtschaftlich oder technisch in seinem Berufsfeld tätig? In jedem Falle benötigt er eine solide Fachkunde, wie beispielsweise als Pädagoge in seinem zu unterrichtenden Fachgebiet und in der Wahrnehmungsfähigkeit zu den Kindern. Das Streben um eine gute fachliche Berufskunde mit schneller, solider und fundierter Beurteilungsfähigkeit kennzeichnet die gute Berufsgrundlage. Praktische Fähigkeiten sind ebenfalls in steigendem Maße wichtig. Ein Zahnarzt benötigt Feingefühl im Umgang mit den Patienten, sowie solide praktische handwerkliche Fähigkeiten, und er muss in seinen Beurteilungen zur Diagnose, wie auch in der Entscheidung der rechten Maßnahmen fest gegründet sein. Würde der Zahnarzt behaupten, er löse die Kariesprobleme seines Patienten durch spirituelle Energie und kann aber keine solide Behandlung durchführen, so wäre er wohl nicht nur ein schlechter Zahnarzt, sondern sogar ein Betrüger.
Das Streben in der fachlichen Berufskunde ist auch in sozialen und technischen Berufen wichtig, denn es schenkt eine Nähe zu der Materie und festigt den einzelnen Menschen in einer praktischen Logik, die von einer natürlichen, empfindsam geschulten Wahrnehmungsfähigkeit begleitet ist. Ein guter Wirtschafter nimmt beispielsweise sehr schnell wahr, wenn ein Betrieb ein gutes und lückenloses ökonomisches Bewusstsein besitzt, das verschwenderische Ausgaben meidet und mit klaren Perspektiven kalkuliert. - Es ist günstig, wenn derjenige, der eine Synthese von Spiritualität und Berufskunde anstrebt, eine gewisse Kenntnis von den verschiedenen Traditionen seines Berufes kennt, geschichtliche Entwicklungsprozesse studiert oder sogar erlebt hat und eine Vision denken kann, wohin ein Beruf in der Zukunft führen könnte oder sogar führen müsste. Infolge der starken Mechanisierung und Digitalisierung aller arbeitstechnischen Prozesse wird der Mensch selbst zur Maschine oder zumindest zu einem Bediener von Maschinen, und er verliert auf diese Weise viele lebendige Möglichkeiten des Berufszusammenhangs. Der digitalisierte Mensch aber kann keine gute Zukunftsvision darstellen. Eine Vorstellung auf praktische Weise, wie ein Beruf beziehungsfreudig, lebendig und doch nicht zu sehr in alten konservativen Verhaftungen stehen bleibt, muss durchaus in die Entwicklung gelangen.
- Eine sehr beziehungsfreudige Vorstellung entwickelt sich, wenn der Mut zu einem Denken erfolgt, das die Bedürfnisse von wirklichen lebendigen und sozialen Werten in die Betrachtung hineinfügt. Wer beispielsweise in einem Verkauf tätig ist und sieht, dass der Käufer das Angebot und Produkt gar nicht positiv verwerten kann, er beispielsweise Schuhe kaufen möchte, die weder zu seiner Natur noch zu seinem Leben passen, so muss der Verkäufer diesen Kunden höflich ansprechen lernen und ihm vielleicht sogar das Produkt ausreden. Die Beziehung, die auf diese Weise zwischen Käufer und Verkäufer entsteht, ist höherwertig als ein schnell getätigter Verkauf, ein Kauf nur um der Geschäftssteigerung willen, der aber einen kleinen Ehrverlust des Menschseins transportiert. Der Mensch darf nicht verkaufen, nur um des Geschäftes willen, sondern er soll in sozialer, beziehungsfreudiger Weiterentwicklung wirtschaften. Ein Betrieb, der dieses Ideal für sich wählt, erfreut sich eines guten Kundenkreises.
- Eine besondere Ausarbeitung benötigt die Spiritualität und vor allem die Art und Weise, wie der Einzelne die Meditation in ihrer beziehungsvollen, gegenständlichen Weise tätigt. Keinesfalls darf Spiritualität eine Form des Konsums von Übungen, Mantren, schnell erworbenen Weisheitsformen sein und sie darf auch nicht die so häufig angemeldete Bedürftigkeit nach Schönheit und Energie in ihrem Zentrum beinhalten. Fährt der spirituell Suchende an einen sogenannten Kraftplatz, an einen Ort, an dem er spirituelle Energie erhofft, so mag das für ihn eine sehr schöne Möglichkeit darstellen, die ihn aus den üblichen nervösen Spannungen für eine Zeitlang herausführt. Noch fehlt ihm aber die bewusste Arbeit an einem gedanklichen Inhalt und die gezielte aktive Übungstätigkeit, diese Gedanken in das tägliche Leben umzusetzen. Die verschiedenen Aktivitäten in der Pflege von bestimmten Geistinhalten und die wiederholte Auseinandersetzung in flexibler, vollbewusster Tätigkeit mit den unterschiedlichsten Gefühlen, die diese Geistinhalte beherbergen, schenkt mit der Zeit eine Herzenstiefe des Erlebens und bereitet dem Geistschüler auf die ersten Schritte der Synthese des Inhalts mit dem Leben vor. Der Übende muss gewissermaßen so tief mit den gelernten Inhalten verbunden sein, dass er sie nicht nur als Lippenbekenntnis äußerlich weiter transportiert, sondern von innen heraus in kraft- und lichtvoller Würde ausstrahlt. Die Tiefe des Geiststrebens, die nicht nur intellektuell ist, sondern umfassend bis in das Gefühlsleben transformierend wirkt, schenkt die Möglichkeiten zur Synthese von einer feineren oberen Welt mit einer sichtbaren sinnlichen Welt.
- Die Synthese zwischen geistigen Inhalten und wirtschaftlichen, sozialen oder wissenschaftlichen Lebensformen leistet das menschliche Bewusstsein, das sich in umfassenden Vorstellungen und inhaltlichen Gedanken üben muss. Es ist nicht möglich, dass eine Synthese von Spiritualität und Leben ohne eine intensive Aufbautätigkeit des Bewusstseins stattfindet. Eine Verbindung von einer geistigen Gesetzmäßigkeit, die einen moralischen, höheren Wert für das Leben darstellt, zu einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit oder lebensnahen Verrichtung, braucht das Bindeglied des menschlichen Selbst. Man kann sich folgenden Gedanken hinwenden: Wenn man ein anthroposophisches Geistesleben bis in den Alltag integrieren möchte, kann man sich die folgende Vorstellung vergegenwärtigen: Rudolf Steiner schaut auf alle diese Gedankengänge und beobachtet mit wachen Augen die irdischen Verrichtungen. Wie wird ihm zumute sein? Erfreut er sich im Angesicht der Tätigkeiten oder bereitet es ihm schmerzliche mimische Züge? Ein anderes Beispiel vom Bergsteigen kann betrachtet werden, wenn eine Route eines mittlerweile verstorbenen Erstbegehers renoviert wird. Den Urheber dieser Route kann man nun nicht mehr äußerlich mit Telefonanruf befragen, denn er weilt mit seiner Seele nicht mehr in der Welt. Man stelle sich aber vor, wie er seine Route aus dieser jenseitigen Welt fühlend wahrnimmt und einer bestimmten Form der Renovierung zustimmt oder dieser ablehnend gegenübersteht. Die Synthese von Geist und Welt schließt jedenfalls die Seelenwelt aus der nachtodlichen Region in jede Art der Betrachtung mit ein. Ein Musiker muss sich beispielsweise sogar in den Komponisten hineinversetzen, wenn er sein Musikstück interpretiert. Entwickelt er es auf nächste Stufen weiter oder variiert er es, so sollte er sich sogar gut in den Urheber hineinversetzen, damit er diesen mit würdiger Verbindung gerecht wird und sich nicht unnötigerweise in banale Abspaltungen zur Weltschöpfung bewegt. Eine Synthese von Geist und Leben entsteht mit wachsender Würde gegenüber den vielen Künsten und Wissenschaften, die bislang zur Entwicklung gekommen sind. Auf spirituellem Gebiet ist es keinesfalls eine Form der Abhängigkeit, wenn der Lehrer nahe und empfindsam in die Betrachtung rückt, denn dieser kann seinen stillen Segen für die Tätigkeiten erteilen oder er kann sich aufgrund von falschen Interpretationen mit seinen geistigen Kräften zurückziehen.





Herzlichen Dank, lieber Heinz Grill, für diese so wichtigen Hinweise zum rechten Zusammenbringen der spirituellen Haltung mit den alltäglichen Tätigkeiten und beruflichen Zielen. Gerade Ihre Beispiele sind sehr hilfreiche Impulse fürs eigene Ringen. Viele Grüße!