Von Heinz Grill
Für eine gesunde Funktion des Bewegungsapparates kann die praktische Anwendung der Dreigliedrigkeit des physischen Körpers außerordentlich treue Dienste leisten. Rudolf Steiner spricht in der Anthroposophie von dem Kopfpol, der mit dem Nerven-Sinnes-System die obere Wirklichkeit des menschlichen Daseins repräsentiert, sodann von der Mitte im sogenannten rhythmischen System, das durch die Atmung und die Herzkreislauffunktion hauptsächlich im Brustbereich lokalisiert ist und schließlich vom Stoffwechsel-Gliedmaßen-System, das seine besondere Tauglichkeit im entwickelten Willensleben verdeutlicht. Es sind drei große Systeme, die aufeinander wirken und die verschiedensten Verhältnisse der Gesundheit und Krankheit beeinflussen.
Nun lässt sich die Wirbelsäule ebenfalls in drei unterschiedliche Sektionen einteilen. Der unterste Abschnitt mit dem Kreuzbein und der Lendenwirbelsäule ist die stabile, kräftige Basis, die Mitte in der Brustwirbelsäule eine sehr bewegliche, dynamische Einheit und zuletzt die Halswirbelsäule bildet mit den feiner gegliederten Wirbeln den oberen, sehr sensitiven Pol. In den meisten Einschränkungen, die die Wirbelsäule betreffen, weist die Mitte eine zu schwache Beweglichkeit auf, während der untere Rücken häufig einer Schwächung unterliegt und die Halswirbelsäule mit dem Schultergürtel zu chronifizierten, unangenehmen Spannungen neigt. Der Yogaübende sucht in der Regel bei Beschwerden im Rücken eine Abhilfe durch entspannende Methoden. Wenn die Verspannungen im oberen Nackenbereich jedoch auf eine Schwäche in der Mitte oder des unteren Rückens zurückzuführen sind, tragen die vielen Entspannungsmethoden nur sehr geringfügig zu einer Heilung bei. Der Übende benötigt eine zielorientierte Aufbauleistung, die meist aus der Mitte der Wirbelsäule angesetzt ist, um den vielen Verspannungen und den damit einhergehenden, unphysiologischen Verhältnissen im Körper entgegenzuwirken.
Bei allen Beschwerden, die mit der Wirbelsäule zusammenhängen, aber nicht nur bei diesen, sondern bei allen weiteren Schwächezuständen, Erschöpfungen und nervlichen Überreizungen ist es günstig, wenn der Übende sich in der ersten Phase der Auseinandersetzung der Dreigliederung von Oben, Mitte und Unten ausreichend bewusst wird. Der Bewusstwerde-Prozess ist ein erster Schritt zur Heilung. Er leitet eine sinnvoll gewählte Aktivierung von ungenützten Potenzialen, die in der Wirbelsäule bestehen würden, auf erste Weise herbei und schenkt darüber hinaus einen Sinn für eine Ordnung im Gesamthaushalt des Körpers.
Würde man nur in der oberen Wirbelsäule, wenn diese verspannt und schmerzhaft geworden ist, das Entspannungstraining ansetzen, übersieht man die Möglichkeiten, die die Brustwirbelsäule und eine gefestigte Lendenwirbelsäule geben können. Im Falle einer Schwächung des unteren Rückens wird häufig die obere Dimension, die durch depressive Gefühle wie beschwert ist oder durch intellektuelle Überreizungen endlos verausgabt erscheint, außer Acht gelassen. Der Schritt eines Bewusstseins, dass die Wirbelsäule in ihren drei Abschnitten ausgleichend und sich gegenseitig ergänzend zusammenwirkt, bleibt sehr häufig unerledigt und deshalb üben viele Personen Yogastellungen und können doch die Rückenprobleme nicht ausreichend beheben.
Nach einer sorgfältig erwogenen Vorstellung über die Dreigliedrigkeit der Wirbelsäule sollte bei allen Rückenbeschwerden die mittlere Region näher in die Betrachtung rücken. Die Brustwirbelsäule kann sowohl ausgleichend auf die Halswirbelsäule als auch auf die Lendenwirbelsäule wirken. Da diese Region weniger als ihre obere und untere Nachbarschaft von Bandscheibenvorfällen und Schmerzen betroffen ist, wird sie in ihrer Bedeutung häufig übersehen. Gerade aber auf diese Bereiche der Mitte sollte die größte Aufmerksamkeit gerichtet sein und eine wachsende Spannkraft mit sowohl flexiblen als auch stabil-dynamischen Ansätzen sollte dort erfolgen.
Diese Mitte der Wirbelsäule lässt sich am leichtesten lokalisieren, wenn der Übende auf den 9., 10., 11. und eventuell noch auf den 12. Brustwirbel achtet. Es handelt sich etwa um die Höhe der Region des Magens, der Leber sowie der Nieren. Der obere Bereich mit dem Kopf, dem Nacken und den Schultern sollte im wachsenden Maße durch eine natürliche Bewusstheit leicht und entspannt werden. Die untere Region mit dem Kreuzbein und den Lendenwirbeln lässt der Übende weitgehendst in einer natürlichen Sammlung und Ruhe. Keinesfalls sollten Übungen zu sehr in die Lumbalregion ausgerichtet sein, wenn diese durch Bandscheibenvorfälle oder Nervenreizungen geschwächt ist. Die Mitte mit ihrer dynamischen, aufsteigenden Aktivität schenkt nach unten Entlastung und nach oben eine wachsende Freiheit, die schließlich ganz naturgemäß zu einer besseren Entspannung führt.
Für eine nächste Betrachtung sollen verschiedene Übungen, wie sie in der Dreigliederung im Sinne der Aktivierung des mittleren Potenzials ausgeführt werden, vorgestellt werden.