Die Körperübung des Yoga, die sogenannte asana, kann in ihrem hervorragendsten Wert ein künstlerischer Ausdruck für edle Tugend und verwirklichte Moralität sein. Sie ist wie ein Gemälde, in das der Künstler seine beste Phantasie und sein intuitives Erfassen der Weltengeheimnisse hineinlegt und zu einem ästhetischen, anziehenden Ausdruck führt.1) Die yoga asana wird allgemein nicht als künstlerische Übung bewertet, sondern mehr zur leiblichen Körpererziehung, Konzentrationsbildung und zur energetischen Stärkung der Lebenskräfte.
Für die Zukunft bräuchte die menschliche Seele eine inhaltliche und tragfähige Zielvorstellung. Wenn jemand von Idealen spricht, beispielsweise von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, von den dreigegliederten Werten der Französischen Revolution, muss er diese Begriffe mit ausreichenden Inhalten denken und erfüllen lernen. Die Forderung nach diesen drei Werten lässt ihre tiefgründige thematische Seinsexistenz vermissen. Das Problem in vielen Demonstrationen, die gegen die Zeit und gegen Maßnahmen der Impfung, gegen Restriktionen und politische Gesetzgebung gerichtet sind, ist jenes, dass die Zukunft mit neuen und nächstmöglichen Wertvorstellungen noch gar nicht ausreichend gedacht ist und deshalb keine konkreten Zielvorstellungen in die Realisierung gelangen können. Viele Menschen wissen, was sie nicht wollen und sind sich aber noch nicht ausreichend bewusst, dass sie ohne wohlerwogene, inhaltliche, logisch gedachte Perspektive in einem Kampffeld des Verlorenen sind.
Die Yogaübung als künstlerischer Ausdruck kann auf subtile Weise zum Beispiel die Herzmitte oder allgemein das Zentrum der Seele repräsentieren. Was ist aber dieses Zentrum der Seele? Es ist durch reichhaltige sinnerfüllende Taten, Gedanken und Ideale gekennzeichnet. Die Mitte des Menschen ist nicht durch ein emotionales Gefühl oder ein im Moment bestehendes Gleichgewicht gegeben, sie ist vielmehr durch den Reichtum seiner inhaltlichen Bewusstheit verankert.
Der Schulterstand, der in Sanskrit sarvangasana genannt wird, entwickelt sich aus der Herzmitte in eine fließend aufsteigende Bewegung. Er zeigt in der Endphase Ruhe und Vertikalität, ein Fließen von Kräften aus der Mitte in die Gliedmaßen und ein zurückwirkendes In-Sich-Sammeln. Das menschliche Herz, das im feineren Sinne seinen innersten seelischen Reichtum verkörpert, kann durch den Schulterstand einen bildhaften Ausdruck erhalten. Sarvangasana bildet im Ausdruck von Sinngebung und Inhalt die erste Säule für eine Zukunft.
Aus dieser sehr anmutigen Gestikulation der gesammelten Mitte und der aufsteigenden Beinbewegung im Schulterstand lässt sich der Pflug, halasana, mit verschiedenen Variationen entwickeln. Die Wirbelsäule gleitet in eine exakte und makellos ausdifferenzierte Ausdehnung in die Umkehrhaltung hinaus. Es ist das Bild der Verwandlung, das bereits symbolisch mit dem Namen angedeutet ist. Wie die Erde durch den Pflug umgewälzt wird, damit sie für die nächste Periode fruchtbringenden Samen empfangen kann, im gleichen Maße begibt sich der Übende in die Ausdehnung, Umkehrung und gewissermaßen Durchgestaltung seines eigenen Körpers, damit neue Impulskräfte empfangen werden können. Die Verwandlung entsteht aus den seelisch-geistigen Inhalten, die ein Mensch in seiner Entwicklung diszipliniert und sorgfältig ausarbeitet. Sie bildet die zweite Säule.
Die Brücke, setubandhasana, die im weiten dynamischen Bewegungsspiel nach rückwärts ausgeführt wird, beschreibt eine aktive und neue Verbindung, die in die Seinsexistenz geführt wird. Aus der inhaltlichen Bereicherung des Lebens entstehen Beziehungsverhältnisse gehobener und freier Art. Vielleicht könnte man sagen, dass eine Beziehungsfähigkeit einem Menschen mehr angeboren ist und einem anderen weniger. In eine aktive Form der Beziehung mit Inhalt und Auseinandersetzung einzutreten, stellt eine Aufgabe für die Zukunft dar. Viele bisherige, auf Emotionen gehaltene Freundschaften, gehen in der gegenwärtigen Zeit in die Brüche und nun liegt es an dem einzelnen Menschen, ob er die Fähigkeit zu einer wirklichen brückenbauenden Tätigkeit im Sinne einer wachsenden Beziehungsfähigkeit ausprägt oder sich in der Suche nach alten Emotionen verliert. Die dritte Säule, die der Mensch heute aktiv entwickeln muss, ist die Neugestaltung von Beziehungen. So wie die Beine bei der Ausführung der Brücke mit hoher Spannung durch die Lüfte gleiten und langsam auf der anderen Seite mit sensibler Berührung den Boden ertasten, im gleichen Sinne können heute inhaltliche Fragen, Vorstellungen und Gefühle in den Dialog mit den Anderen treten und diese können ein tragfähiges Brückenglied unter Menschen werden.
Die Ausführung der beiden Übungen Pflug und Brücke können in hochanspruchsvollen Bewegungen stattfinden. Diese entwickeln sich aus der klassischen Stellung der Lotushaltung: padmasana in setubandhasana und halasana in padmasana.2) Schulterstand, Pflug und Brücke im Lotus wurden am Ende des Videos ab 2:58 demonstriert. Diese Positionen sind extrem schwierig und erfordern sowohl eine differenzierte Körperbeherrschung, als auch eine Bewusstseinshaltung von hoher Konzentration auf die Ausführung von sehr weiten Bewegungen. Die Übungen sind nicht zur Nachahmung gedacht, sie zeigen lediglich bildhaft die Möglichkeiten im Sinne einer transformatorischen Tätigkeit an, die sowohl nach innen zum eigenen Erleben, als auch nach außen im Sinne einer künstlerischen Expression wirkt.
Anmerkungen