Artikel von Heinz Grill:
Die Dynamik des Blutes
Grundsätzlich bieten alle Umkehrstellungen des Yoga, insbesondere der Schulterstand und der Kopfstand, eine physiologische Entlastung der Beinvenen 1)Die Bezeichnung Venen entspringt aus der gleichen Wortwurzel wie der Planet Venus. In älteren Zeiten der Menschheitsgeschichte nahm man intuitiv den Zusammenhang des Planeten mit den venösen Gefäßen wahr. Das sogenannte manipura cakra, das auf der Höhe der Nieren lokalisiert ist, darf dem Planeten der Venus zugeordnet werden. Die Aktivierung dieses Energiezentrums oder cakra bewirkt im Allgemeinen eine Verlebendigung in der Blutverteilung.. Dennoch ist das Problem der Stauung im venösen Rückfluss noch nicht ursächlich durch Umkehrhaltungen zu beheben. Das Blut unterliegt in seiner Natur nicht nur den Schwerekräften der Erdanziehung, es determiniert sich in seiner möglichen Dynamik durch die Lebenskräfte oder anders ausgedrückt durch seine Lebendigkeit und Äthersubstanz. Ätherkräfte wirken im Gegensatz zur Gravitation levitierend, während allgemein alles Stoffliche der rein irdischen Gesetzmässigkeit unterliegt und deshalb der Schweretendenz verfällt. Sowie weiterhin Wasser fade und lau werden kann, sich langsam der Lebenswelt durch mangelnde Flussbereitschaft entzieht, so kann sich auch das Blut aus den lebendigen Ätherströmen, die levitierend sind, herauslösen und der zunehmend lastenden Schwere unterliegen.
Der mangelnde venöse Rückstrom zum Herzen ist meistens gar nicht auf die Suffizienzleistung des Herzens zurückzuführen, sondern auf die gesamte Stoffwechselleistung und auf die Lebendigkeit des Blutes selbst. Das Herz kann rein durch die systolische Leistung niemals das Blut nach dem Durchtritt durch die Kapillaren erreichen. Es müssen deshalb andere Kräfte, die zunächst gar nicht sichtbar sind, den venösen Rückstrom unterstützen und das Blut von unten nach oben in Bewegung halten.
Die Konditionierung des Bindegewebes, verbunden mit den sogenannten Venenklappen, kann durch seine Elastizität und Straffheit diesen Rückstrom maßgeblich fördern. Dennoch bleibt die Frage rätselhaft, wie dieses venöse Blut, das keiner direkten Pumpleistung unterliegt, tatsächlich bis zum Herzen hinauf findet. Die Sauerstoffversorgung ist der wohl bekannteste Effizienzfaktor für das Blut und dieser steht mit der Atmung unmittelbar in Verbindung. Das venöse Blut jedoch ist nach dem Durchtritt durch die Kapillaren kohlensäurebeladen und nur noch vermindert lebensfreudig. Wenn das Blut jedoch von Anfang an sehr lebendig mit Sauerstoff versorgt wird und einen hohen Sättigungsgrad, beispielsweise 99 oder 100%, aufweist, darf man eine bessere Bewegtheit und Lebenskräftetendenz des Blutes und auch in der Folge des venösen Blutes annehmen.
Übungen und Gefühle wirken sich auf den Blutstrom aus
Es gibt eine Reihe von Übungen im Yoga, die – nicht direkt, sondern auf indirekte Weise – auf die Blutverteilung, die Harmonisierung des Blutdruckes und die Lebendigkeit des Strömens einen unmittelbaren Einfluss ausüben. Die Struktur dieser Übungen bemisst sich an der harmonischen und aufbauenden Spannungsverteilung, die – geschickt und gekonnt angewendet – einen erhebenden und dynamisierenden Effekt auf die gesamte Haltung des Menschen ausübt. Die psychische wie physische Konditionierung durch angewendete Übungen lässt sich im Yoga sehr leicht nachvollziehen, sie ist als heilsame Erfahrung bekannt und wird in der Regel wertgeschätzt. Gefühle und Erfahrungen wirken bekanntermaßen auf die Gesundheit des Menschen und sie wirken in relativ deutlich nachvollziehbaren Beobachtungen auf die Kreislauffunktionen. Welche Gefühle, Empfindungen, psychische Erfahrungen und sogar welche Art spirituell nachvollziehbare Erlebensform erscheinen für die Aktivierung der venösen Rückströmungsrichtung des Blutes, vor allem von den Beinen zurück zum Herzen, bedeutungsvoll? Was muss der einzelne Mensch an Erfahrung und Bewusstheit erringen, damit er ursächlich den Schweretendenzen des versackenden Flüssigkeitsstromes entgegenwirkt?
Wer sich für einige wenige Minuten in den Schulterstand oder Kopfstand begibt, kann den müden Beinen sicherlich entgegenwirken. Die Risikofaktoren, die zur venösen Insuffizienz führen und allgemein das große Krankheitsbild von Varikosen2)Krampfadern verursachen, bestehen wohl in erster Linie in zu langen Stehphasen oder zu viel auf Stühlen sitzender Tätigkeit. Indem sich der Betroffene die Umkehrstellungen aneignet und täglich praktiziert, wirkt er auf mechanisch günstige Weise durch die Lageveränderung der Beine und des Herzbereiches – bildhaft sind die Beine oben und das Herz liegt tendenziell in der Umkehrstellung unten – und verringert auf diese Weise die Stauungen, die mit der Zeit den ganzen Beinumfang unangenehm und belastend erweitern. Die soliden Umkehrstellungen wirken jedoch, wie angedeutet, nur auf mechanische Weise durch die Lageveränderung und können noch nicht die wirkliche Ursache beheben.
Die Ursache für Stauungen
Die Frage nach der Ursache der Stauung im venösen System der Beine könnte man ganz einfach durch die verschiedensten Risikofaktoren beantworten: Neben dem langen Sitzen und Stehen zeichnen die verschiedenen Formen des Übergewichts, meist gepaart mit schlechten Ernährungsgewohnheiten und unphysiologischen Anforderungen des nervlich geplagten Alltages, sowie Blutdruckunregelmässigkeiten und ein phlegmatisches Reagieren des Blutdruckes und zuletzt eine gewisse Ausscheidungsschwäche und Natriumretention im Nierenbereich.3)Natriumretention bedeutet ein Zurückhalten des Natriums im Blut. Natrium wird normalerweise über die Nieren ausgeschieden. Wenn die Nieren weniger Natrium ausscheiden, d. h. Natrium (und somit Wasser) im Blut zurückgehalten wird, besteht die Gefahr von Ödemen und Bluthochdruck. Abgesehen von diesen bekannten Risiken gilt die venöse Insuffizienz häufig als Erbkrankheit und wird durch eine Bindegewebsschwäche erklärt. Die wirkliche Ursache für die Varikosen liegt jedoch nicht unbedingt in einem Überwiegen der negativen Faktoren, die den Körper in eine Art Schwere und belastende Stauung führen, sondern vielmehr im Fehlen von wesentlichen, dynamisierenden und erbauenden Aktivitäten. Es stellt sich logischerweise die Frage: welche Aktivität und welche erkraftende Erlebensform kann gerade jene Dynamik erzeugen, die die Beinvenen entlastet und den Blutstrom lebendig entgegen der Schwerkraft befördert?
Die Rolle der Atmung für die Blutqualität
Der Atem in seiner Erlebensform kann vom einzelnen Übenden innerhalb der Yogapraxis wie eine kosmische Dimension erlebt werden oder er kann im Gegensatz hierzu eine Tendenz zur Verengung, zur mechanischen Routine und schließlich zu einer starken Anhaftung an den Körper gewinnen. Der Zusammenhang der Atemprozesse zu dem Blut ist durch die Begegnung des Sauerstoffes mit den roten Blutkörperchen in den Lungenalveolen bekannt. Wenig ist im allgemeinen Yoga und sogar in der Schulmedizin der Zusammenhang der Lebendigkeit des Blutes mit der Physiologie der Nierenprozesse wahrzunehmen. Dieser wesentliche Grundzusammenhang könnte aber gerade durch das Üben des Yoga wieder neu in eine fundierte therapeutische Arbeit führen.
Im Nierenorgan, gepaart mit den hormonaktiven Nebennieren, gründet sich zunächst einmal das gesunde Verhältnis des Natriums und Kaliums, dort entwickelt sich das Kortikosteroid Aldosteron 4)Dieses Hormon wird in den Nebennieren produziert. Es reguliert den Natrium- und Kaliumhaushalt im Blut und dort reguliert sich durch das Renin und die Angiotensine die hauptsächliche Blutdrucksteuerung.5)Renin ist ein Enzym und Angiotensine ein Hormon Im Allgemeinen findet der Filtrationsprozess des Blutes von harnpflichtigen Ausscheidungsprodukten zu einscheidungspflichtigen Eiweißen, die der Körper zum Aufbau benötigt, statt. In den Glomeruli, den sensiblen Nierenkörperchen, bewegt sich unaufhörlich und in großen Mengen das Blut und in diesen wird genau zwischen Einscheidung und Ausscheidung differenziert. Je nach der Art und Weise, Qualität, Fülle und lebendiger Bewegung, die der Atem annimmt, können sich diese Nierenregionen günstig entspannen, dynamisieren oder verspannen, bis hin sogar im Gewebe verhärten und in der Funktion erheblich schwächen. Die entwickelte Atemqualität kann die gesamte Konditionierung der Nieren tatsächlich außerordentlich positiv beeinflussen.
Die kosmische Natur des Atems sollte wiederentdeckt werden
Für die Übungen und eine lebendige therapeutische unterstützende Maßnahme bei Varikosen, sollte der Praktizierende eine möglichst freie und weite Atembewegung entwickeln und des weiteren eine solide und natürliche Spannkraft in der Wirbelsäule erbauen. Den Begriff eines kosmischen Atems oder eines Erlebens, dass die Luftbewegungen, die durch die Lunge ein- und ausfluten, kosmischer Natur sind, verliert der moderne Bürger immer mehr und der Verlust dieser weit gefassten Erlebensform kann gar keine andere Wahrnehmung hervorbringen, als irdisches Anhaften und Binden an die Materie. Das viele Stehen und Sitzen, oft umhüllt von unsichtbarem und doch nicht wirkungslosem Elektrosmog, sind wohl nur eine Folge eines modernen Lebensstiles. Der Verlust der Empfindung, dass das menschliche Dasein in Wirklichkeit nicht nur ein irdisches sondern vielmehr sogar ein kosmisches ist, betrifft fast alle Berufe und Daseinsstufen des menschlichen Lebens. Der Atem in seiner Erlebensform pendelt zwischen Anhaften an die Welt und einer offenen Weite zum Kosmos. Ein Ziel eines therapeutischen Eingreifens durch Yogaübungen besteht wohl darin, dieses freie, weite Empfinden, das dem Kosmos typischerweise eigen ist, wieder neu zu beleben und zu entdecken.
Die seitliche Waage
Eine wesentliche Übung zur Therapie der Varikosen kann neben den Umkehrstellungen die seitliche Waage (parivritti tuladandasana) darstellen. Sie kennzeichnet sich durch eine offene Bewegung in der Flankendrehung und ein geschmeidiges Ausgleiten des Oberkörpers in die horizontale Linie.
Die Wirkung dieser Bewegungsform geschieht zunächst einmal durch ein Anheben des Brustkorbes über den Bauchraum hinweg. Es entsteht ein entlastender Raum zwischen den Rippen, die nach unten zum Beckenkamm drücken, und dem Bauch. Im besonderen Maße können sich dadurch die Nieren, die extraperitonal liegen und meist von der Rückseite erlebt werden, einer Art freieren Durchatmung erfreuen, wobei der Begriff Durchatmung figurativ und erlebensvoll gemeint ist. Solange der Oberkörper und der gesamte Rumpfbereich auf den Bauchraum drückt, bleibt die Nierenregion ebenfalls wie eingeschnürt und wenig lebendig. Häufig sind Spannungen in Richtung der Schulterregion da, die Dynamik in der Mitte fehlt. In den umliegenden Muskelzonen des Zwerchfells entstehen ebenfalls Einschnürungen und Spannungen, das ist ein Umstand durch den alle physiologischen aktiven Stoffwechselvorgänge nicht zur ausreichenden und befreienden Lebendigkeit finden können.
Auf das Üben bezogen sollte man sich des freien und leichten Atems, der von außen kommt und in natürlicher Durchströmung den Körper durchdringt, bewusst werden. Der Atem ist wie eine lebendige kosmische Fülle und erhebt den Körper durch seine Bewegtheit und luftige Komponente zu einem gewissen Grad aus der irdischen Schwere. Für einen zweiten Schritt kann der Übende etwa die Höhe des 10. Brustwirbels lokalisieren und sich aus dieser Region aufrichten und anheben. Die Schultern, der Nacken und der Kopf sollen grundsätzlich bei allen Übungen entspannt bleiben. Das dynamische Zentrum, von dem aus die Spannkraft entwickelt wird, liegt tatsächlich in der Mitte der Wirbelsäule und auf der Höhe der Nieren. Diese Nieren dürfen nicht zu tief lokalisiert werden. Sie sind etwa auf der Höhe der unteren Brustwirbelsäule gelagert und liegen nahe dem Zwerchfell.
Für die seitliche Waage entspannt sich der Übende im Oberkörper, setzt solide den Fuß in eine seitlich wohl erwogene Linie, gleitet in die Horizontale unter Drehung des Rumpfbereiches und führt zuletzt, nachdem das Bein bereits die geeignete Höhe erreicht hat, den Arm in die Fortsetzung der hinausgleitenden Linie. Der Übende dreht sich und gleitet aus der Mitte des Nierenbereiches in die Länge. Am Ende der Stellung wird er für etwa 15 Sekunden ruhig, behält solide die Zentrierung in der Mitte und lässt den Atem wie kosmisch frei fließen. In der beschließenden Phase führt er den Körper zurück, hält noch einmal das Gleichgewicht und wechselt sodann auf die andere Seite. Die Übung kann günstigerweise dreimal hintereinander praktiziert werden.
Leichtere Vorübungen in Ansätzen tragen ebenfalls schon
zu einer befreienden Wirkung bei
Das Erleben der Übung bildet sich aus der scheinbaren Polarität von Offenheit und Zentrierung. Sehr sensible energetische Ströme gleiten um die Rumpfzone und der Übende bemerkt Ruhe und ein weites Ausgespanntsein im Raume. Eine feinste Freude mit Momenten der Stille schenken das Gefühl des Harmonisierens. Die physiologischen Prozesse in der Nierenregion, zwischen Ausscheidung und Einscheidung, im Gleichgewicht der Mineralien und im Anregen und zugleich Beruhigen des Blutdruckes und der Blutzirkulation, nehmen einen günstigen Verlauf.
Grundsätzlich beschreibt diese Übung beispielhaft jene Dynamisierung, die die Entwicklung eines kosmischen und freieren Atem- und Lebensgefühles motiviert und den so schweren Gefühlen, die in Varikosen ihren Ausdruck nehmen, entgegensteuert. Der an Varikosen Leidende braucht nichts mehr als einen freien und fülligen Atem, der zu einem erhebenden, aufbauenden und energievollen Levitationsantrieb führt. Wenn die Ätherkräfte sinnvoll in das Körpergeschehen eingreifen, richtet sich der Brustraum leicht gegen die Schwere über dem Bauchraum auf und entlastet auf diese Weise bis hinab zu den Beinen. Der freie und doch durch den Körper zentriert gehaltene Atem gibt dem Blut neue Lebenskräfte; man kann sagen, dass der Atem in dieser Konditionierung über die Nierenregion das Blut ätherisiert, es geeignet macht, gegen die Schweretendenz des salzartigen Natriums wieder zum Herzen hochzusteigen. Wenn ein lebendiger Raum mit dem Gefühl der Weite durch den Übenden entwickelt wird, können venöse Insuffizienzen, selbst dann, wenn die Venenklappen schon geschwächt sind und hohe erbliche Belastungen angedeutet sind, eine neue Kraft entwickeln und dem Problem der Stauung wird zunehmend ursächlich entgegengewirkt.
Es gibt sehr viele Übungen, wie beispielsweise die stehenden oder sogar die liegenden Dreiecksstellungen, die einen ähnlichen dynamisierenden, raumschaffenden, stoffwechselfreudigen Charakter aufweisen und indirekt gegen Stauungserscheinungen eine wirksame Disziplin darstellen. Diese sollen mit weiteren Aspekten in einem folgenden Artikel beschrieben werden.
Varikosen sind von tiefen Beinvenenthrombosen zu unterscheiden. Die tiefe Beinvenenthrombose ist ein schweres Krankheitsbild und benötigt sofortige ärztliche Behandlung. Sie ist häufig nicht zu sehen und tritt vollkommen unabhängig von Varizien auf.
Thrombophlebitis bezeichnet eine Venenentzündung, die in der Regel schmerzhaft ist und nur bedingt Übungen gewährt. Die Stauungserscheinung ist jedoch auch bei diesen entzündlichen Reaktionen überwiegend.
Häufig sind die Beine ohne Varikose nach getätigter Anstrengung oder langen Autofahrten angestaut. Eine grundsätzliche Dynamisierung der mittleren Stoffwechselregion oder des sogenannten dritten Energiezentrums ist sehr empfehlenswert.
Anmerkungen
⇑1 | Die Bezeichnung Venen entspringt aus der gleichen Wortwurzel wie der Planet Venus. In älteren Zeiten der Menschheitsgeschichte nahm man intuitiv den Zusammenhang des Planeten mit den venösen Gefäßen wahr. Das sogenannte manipura cakra, das auf der Höhe der Nieren lokalisiert ist, darf dem Planeten der Venus zugeordnet werden. Die Aktivierung dieses Energiezentrums oder cakra bewirkt im Allgemeinen eine Verlebendigung in der Blutverteilung. |
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⇑2 | Krampfadern |
⇑3 | Natriumretention bedeutet ein Zurückhalten des Natriums im Blut. Natrium wird normalerweise über die Nieren ausgeschieden. Wenn die Nieren weniger Natrium ausscheiden, d. h. Natrium (und somit Wasser) im Blut zurückgehalten wird, besteht die Gefahr von Ödemen und Bluthochdruck. |
⇑4 | Dieses Hormon wird in den Nebennieren produziert. Es reguliert den Natrium- und Kaliumhaushalt im Blut |
⇑5 | Renin ist ein Enzym und Angiotensine ein Hormon |