Von Heinz Grill
Für den heilkundlichen Ansatz, der von jedem Individuum eine sehr deutliche Selbstaktivität fordert, bedarf es neben der Aufklärungsarbeit der Ursachen für eine Erkrankung immer der Entwicklung eines neuen Lebensschrittes. Die Tragik, dass gerade die Krankheit das menschliche Bewusstsein lähmt und illusioniert, ist mit dieser Betrachtung ganz bewusst zu berücksichtigen. Sie stellt eine Art Schlüsselansatz dar. Es kann einerseits die Fallgrube zu weiteren Krankheiten oder andererseits das Tor der Gesundheit geöffnet werden.
Die gewählte Aktivität stellt immer eine Herausforderung dar. Mit jeder Entwicklung ist nicht die Wiederholung des Alten, sondern eine nächste kommende Zielorientierung gegeben. Eine Krankheit will insgeheim die Zukunft bereiten. Die Entwicklungsfrage zu neuen Perspektiven stellt deshalb sowohl für den behandelnden Therapeuten als auch für den Patienten eine Art ungewöhnliche, grenzüberschreitende Bewusstseinsanforderung dar. Sie ist einerseits faszinierend, andererseits wagemutig und eben ungewöhnlich.
Die Aussage, „Ein Schritt ist mir für eine nächste Zukunft nicht möglich, da mich der Körper schmerzt und ich keine ausreichende Kraft dazu zur Verfügung habe“, erscheint obligatorisch und kennzeichnet die missliche Situation des Krankseins. Der Körper und das daran gebundene Bewusstsein wollen zunächst einen neuen Schritt nicht für wahr halten und die bisherigen Gewohnheiten nicht preisgeben. Eine Erschöpfung, die tiefgreifend bis in den Körper spürbar ist, zieht nicht nur den Körper in unendliche lethargische Gefühle, sie nimmt immer das Bewusstsein gefangen und der Betroffene kann sich kaum ein Ziel zur ausdauernden Verfolgung denken. Er will durch Ruhe oder Erwartung an eine Hilfe von außen Energie für sich gewinnen. Die Vorstellung, dass diese Energie durch eine ganz bewusste, gedanklich orientierte Aktivität geschaffen werden kann, ist meist nicht gegeben. Es fehlt in dieser Hinsicht das Wissen und schließlich der Glaube an den werdenden und energiebringenden Gedanken.
In einer Erschöpfungsphase, die häufig nach Infektionen besteht, muss sich der Übende rechtzeitig mit Vernunft und Sorgfalt aufrichten und erste körperliche und weitere ruhige, mentale, konzentrierte Aktivitäten leisten. Obwohl er keine Kraft in seinen Gliedern fühlt, sollte er 100 Schritte, sodann 200 Schritte und weiterhin zunehmende körperliche Aktivität vornehmen. Eine gute Durchatmung ist dafür sehr hilfreich. Allgemein bietet der Atem, wie das in Yogapraktiken bekannt ist, eine gute Hilfe zur ersten Energetisierung und liefert die Möglichkeit eines Kraftaufbaues. Im Wesentlichen ist es aber nicht der äußere Atem, sondern der Gedanke selbst, der dem Menschen am besten Energie liefert. Es soll nicht gesagt werden, dass der Gedanke direkt die Kraft liefert, denn der Gedanke ist Geist, vielmehr ist es die Form, in der beispielsweise eine Entscheidung zur Aktivität erfolgt. Jede Entscheidung beruht auf einer gedanklichen Aktivität. Der Übende nimmt sich trotz der Erschöpfung eine bestimmte vernünftig gewählte körperliche Tätigkeit vor und leistet sie schließlich nach seinem vorgenommenen Vorsatz. Der Widerstreit, der mit den körperlichen Bedingungen entsteht, muss durch die Disziplin, die Entscheidung bewusst zu bewahren, durchgehalten werden. Es ist der Gedanke, der die Entscheidung insgeheim führt, und dieser Gedanke ist in Wirklichkeit in seinem unsichtbaren Geist das Selbst.1) In esoterischen Kreisen, sogar im Yoga und in vielen anderen, sehr oberflächlich gewählten Religionen, existieren zahlreiche Formen, die sehr verführerisch und unproduktiv sind und in letzter Konsequenz den Körper in die Mitte platzieren. Eine dieser Formeln ist: „Du musst auf Deinen Körper hören!“ Diese Formulierung ist bei Erschöpfung vollkommen kontraindiziert. Es gibt weiterhin auch andere Formulierungen wie „Lerne loszulassen!“ Derjenige, der sich diesen unsinnigen Schlagformulierungen überlässt, kann nur schwer zu einem wirklichen Begriff des Selbst und seiner in Gedanken getragenen Bedeutung gelangen. Es ist deshalb günstig, wenn derjenige, der sich auf dem heilkundlichen Weg in Selbstaktivität übt, nicht leichtfertig esoterische Ratschläge oder ähnliche Praktiken, die in letzter Konsequenz sehr körperbezogen sind, übernimmt.
An diesem kleinen Beispiel lässt sich der Unterschied von einer Erwartung, die der Patient eventuell an Dritte stellt oder die er sich durch Ruhephasen erhofft, zu einer wirklichen Selbstaktivität erkennen. Unabhängig von den körperlichen Bedingungen beginnt der Patient, sich eine Vorstellung über eine notwendige Aktivität zu bilden. Er gebraucht seine gedankliche Fähigkeit und setzt sich ein Ziel. Indem er dieses Ziel trotz des körperlichen Umstandes durch die klare Entscheidung auf den Weg bringt, erkraftet sein Wärmeorganismus und sein eigenes Selbst. Gerade in diesen Schritten der Überwindung von körperlichen Emotionen und Phasen der Verzweiflung liegt der entscheidende Entwicklungsfortschritt. Das Selbst, das eine geistige Substanz bildet, kann deshalb ohne diese den Körper in seinen Grenzen überschreitenden Aktivitäten nicht erkraften.
Dieses Beispiel trifft auf die vielen verschiedenen Formen der Erschöpfung zu. In einem nächsten Beitrag sollen andere Krankheitsbilder und die Selbstaktivitäten, die zu leisten sind, beschrieben werden.
Anmerkungen
⇑1 | In esoterischen Kreisen, sogar im Yoga und in vielen anderen, sehr oberflächlich gewählten Religionen, existieren zahlreiche Formen, die sehr verführerisch und unproduktiv sind und in letzter Konsequenz den Körper in die Mitte platzieren. Eine dieser Formeln ist: „Du musst auf Deinen Körper hören!“ Diese Formulierung ist bei Erschöpfung vollkommen kontraindiziert. Es gibt weiterhin auch andere Formulierungen wie „Lerne loszulassen!“ Derjenige, der sich diesen unsinnigen Schlagformulierungen überlässt, kann nur schwer zu einem wirklichen Begriff des Selbst und seiner in Gedanken getragenen Bedeutung gelangen. Es ist deshalb günstig, wenn derjenige, der sich auf dem heilkundlichen Weg in Selbstaktivität übt, nicht leichtfertig esoterische Ratschläge oder ähnliche Praktiken, die in letzter Konsequenz sehr körperbezogen sind, übernimmt. |
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Diese Gedanken fallen bei mir auf fruchtbaren Boden, so wurde es selbst erlebt bei Erschöpfung. Interessant auch, dass bestimmte Gefühle nicht immer ins Aufbauende leiten. Herzlichen Dank, Herr Grill.