Von Heinz Grill
Übungen, die zu einer wachsenden Bewusstheit, psychischen Stabilität und zuletzt einer günstigen Entwicklung führen, erfordern immer konkrete und logische Vorstellungen.
Was bedeutet eigentlich das Wort ‚konkret‘? Es bedeutet etwa so viel wie ‚anschaulich‘ oder, anders ausgedrückt ‚für die Wahrnehmungs- und Beurteilungsfähigkeit ausreichend erfassbar‘. Um diese sorgfältige Logik und Vorstellungstätigkeit muss sich sowohl der Therapeut als auch der Patient bemühen. Wenn diese Auseinandersetzung gerade im gegenseitigen Verhältnis eines Heilkundigen zu einem Bedürftigen stattfindet, kann das sattva-Element mit seiner lichten, reinigenden Wirkung am leichtesten eintreten. Ein großes Hindernis in vielen Therapien entsteht tatsächlich durch die aus der Esoterik kommenden, unsoliden Wortformulierungen und aus den daraus entstehenden, sehr subjektiven Erfahrungen. Die Tatsache, dass in schulmedizinische Methoden oftmals wenig Vertrauen gelegt wird, sollte aber nicht in eine schnelle und eitle, von alternativer Meinung kommende Warte gestellt werden. Schulmedizinische Behandlungen mögen sehr symptomatisch und häufig materialistisch sein, die Frage, ob man auf diese jedoch verzichten kann und ob sie nicht doch ein Teil einer heilkundlichen Kultur darstellen, drängt sich in jedem Falle auf. Wichtig ist es jedenfalls, wenn sich jemand an naturheilkundliche, alternative oder esoterische Praktiken, wie es die Meditation darstellt, hinwendet, dass er diese nicht polarisierend und des Weiteren keinesfalls in unkonkreter Weise anwendet.
Wenn jemand nun eine Übung beginnt, beispielsweise ein ruhiges Sitzen mit entspanntem Nacken-Schultergürtel, aufgerichtetem Rücken und einer soliden Festigkeit im Kreuzbeinbereich, sollte er diese Haltung mit klaren Wahrnehmungen und Gedanken herstellen. Eine Beruhigung entsteht bei dieser Form der Gliederung und der Übende braucht dabei nicht in einer Art Traumreise mit illusionären Bildern dem realen Leben zu entfliehen. Für eine Meditation bedarf es lediglich einer recht natürlichen Vermeidung von Ablenkungen, emotionalen Unruhen und intellektuellen Spekulationen, damit das Bewusstsein gezielt auf einen klar gewählten Inhalt gelenkt werden kann.
Der Inhalt, der weiterhin für eine Übung gewählt wird, muss nun konkret sein. Eine sogenannte Suggestion oder Affirmation ist beispielsweise nicht konkret. Man sagt sich in einer Autosuggestion, wie das häufig der Fall ist: „Ich entspanne mich“ und weiterhin in Wiederholung „Ich entspanne mich, nun bin ich entspannt.“ Mit diesen Wortformulierungen entsteht kein bewusst getätigter Wahrnehmungs- und Anschauungszustand und der Betreffende taucht in eine Wirklichkeit der selbstgeschaffenen, das Bewusstsein einnehmenden, unkonkreten Entspannung ein. Er kann es mit Träumen oder einhüllenden Gefühlen verwechseln. In vielen Fällen gewinnt dadurch ein Meditations- oder Entspannungszustand den Charakter von tamas, einer regelrechten selbstgeschaffenen Illusion, die in letzter Konsequenz die Psyche schwächt und den Menschen an einer erbauenden Beziehung mit immunstärkendem Charakter hindert. Illusionäre Zustände werden heute leider in ganz vielen Meditationskursen und esoterischen Praktiken vermittelt. Der Übende sollte sich bei allen Tätigkeiten zur Konkretheit und klaren, inhaltsreichen Vorstellungstätigkeit erziehen. Eine anspruchsvolle Übung hierzu, bei der der Aspirant jedoch keine Fehler im Sinne eines Abgleitens ins Träumerische machen kann, bildet beispielsweise der Kopfstand im Yoga. Das Lernen dieses Kopfstandes erfordert eine solide, klare Auseinandersetzung mit der Form, die zur Entwicklung gelangen soll. Emotionen lassen sich mit dem Lernen des Kopfstandes am wenigsten vereinbaren, aber diese Übung ist nicht für alle Personen geeignet und deshalb soll sie nur nebenbei bemerkt bleiben.
Eine sehr variable, elementare und wichtige Position, die sowohl im Yoga, als auch bei Meditationen und verschiedensten Konzentrationsübungen von großem Vorteil ist, bildet die Sitzhaltung. Diese soll infolge ihrer doch wichtigen Bedeutung ausführlich zur Beschreibung gelangen. Am Boden wird eine Decke zusammengefaltet hingelegt und der Übende kann sich nun in verschiedenen Positionierungen auf diese setzen. Eine der gebräuchlichen Haltungen bildet die Schneidersitz-Position, die in unterschiedlichen Ansprüchen praktiziert werden kann. Je weiter die Knie zum Boden kommen, wie es schließlich bei der Lotushaltung oder im halben Lotussitz der Fall ist, desto stabiler, ruhiger und geschlossener lässt sich der Körper erleben. Nach oben richtet sich die Wirbelsäule auf, das Haupt bleibt frei.
Viele, die diese Position einnehmen, schließen die Augen, um sich gegen Ablenkungen, die von außen auf sie einwirken, immun zu machen. Sind es aber nicht die inneren Emotionen und unruhigen Ströme der Psyche, die den wesentlichsten Störfaktor für eine gezielte Sammlung und Konzentration bilden? Indem der Übende die Augen offen lässt, jedoch der Blick nicht im Raume ein Ausschweifen gewährt, ist er nach Erfahrung besser vor einem subjektiven Zurückfallen in einen träumerischen Zustand geschützt. Das Träumen jedenfalls ist in dieser Haltung nicht zielstrebig und es sollte als kontraproduktiv erlebt werden.
Wenn diese Sitzhaltung einigermaßen ruhig, mit einer gleichmäßigen Spannungsverteilung bewerkstelligt wird, erfolgt der nächste Schritt. Nun richtet der Übende seine Aufmerksamkeit auf einen möglichst konkret gewählten gedanklichen Inhalt. Er stellt sich beispielsweise eine Walnuss vor, in geschlossener Schale. Er kann sich diese Walnuss sogar vor seinen Augen platzieren, um das sinnliche Bild ausreichend konkret zu erfassen und nicht zu sehr in Phantasien zu entgleiten. Während der Betrachtung, die vielleicht für 5 Minuten getätigt wird, stellt sich der Übende vor, wie die äußere Schale dieser Nuss aufgebaut ist und wie sie hinter dieser sichtbaren Schalenbildung einen fruchtigen Kern bildet, der die eigentliche Essenz darstellt. Beim Üben bleibt das Bewusstsein immer konkret und meidet Abschweifungen.
Wenn es dem Übenden für 5 Minuten gelingt, ohne größere Abschweifungen und Ablenkungen die Vorstellung gemäß diesen Gedanken zu halten, stärkt er sein sensibles Nervensystem, er wird nach innen ruhiger und gewinnt eine bessere Beziehung zu seinem Objekt der Betrachtung. Er meidet ein Träumen, Phantasieren oder unsolides emotionales Schwärmen. Der Gegenstand der Betrachtung wird zum Objekt und der Betrachter bleibt klar, wach und in gegenständlicher Beziehung. Würde er die Augen schließen und in ein sentimentales Träumen fallen, das ist ein Zustand, der heute in Meditationen fast immer stattfindet, fällt er in einen tamas-artigen wirklichkeitsfremden Zustand oder er stilisiert sich mit emotionalem Eifer zur Schwärmerei empor und somit gleitet die Aufmerksamkeit in einen rajas-Zustand beziehungsweise Unruhe. Die sattva-Beziehung zum Objekt ist gegenständlich, frei und empfindsam, sie wirkt ordnend auf das Bewusstsein und auf diese Weise beruhigend auf den Kreislauf und stärkend auf das Nervensystem.
Der Fehler, der heute sehr oft bei diesen ersten elementaren Übungsansätzen stattfindet, ist durch eine irrtümliche Vorstellung von Konzentration, von Meditation und zuletzt sogar von Geistigkeit gegeben. Man meint heute tatsächlich, dass ein emotionales Umgehen mit einer Begegnung, Erscheinung der Natur oder eines Gegenstandes spiritueller sei, als eine geordnete, sachliche Beziehungsaufnahme. „Die Nuss ist einfach toll und es war so schön“ oder „Ich habe mich ganz mit dem Gegenstand der Betrachtung verbunden und bin eins mit ihm geworden“. Oder wieder ein anderer spricht: „Ich habe mir goldenes Licht vorgestellt und habe auch bei der Meditation goldenes Licht gesehen.“ Die absteigenden Emotionen bewirken jedenfalls allerlei illusionäre, wirklichkeitsfremde oder der Schwärmerei unterliegende Erfahrungen und sind tamas- oder rajas-artig. Für alle Übungen muss deshalb der Einzelne sich zur Konkretheit erziehen und geordnete, wirklichkeitsgetreue, von Phantasie frei gehaltene Vorstellungen bilden.
Wenn jemand diese Basis gut erringt, kann er für seine Gesundheit einen sehr guten Aufbau leisten. Esoterisch halbfertige oder unsolide gebrauchte Wortformulierungen sollte man grundsätzlich meiden und dies ganz besonders bei Krebskrankheiten, denn sie stärken nicht das Bewusstsein und geben dem Immunsystem häufig noch eine zusätzliche Irritation.
Wie aber kommt die Entwicklung und Spiritualität in einer konkreten Orientierung zum Tragen? Diese Auseinandersetzung soll in einem nächsten Artikel erfolgen.