Von Heinz Grill
Die meisten Menschen sehen ihr weltliches Glück in den Möglichkeiten, die sie in einer Beziehung, in einer Familie oder vielleicht sogar im weitesten Sinne in einer Gruppe von Menschen finden.
Allgemein werden die Beziehungen sehr schwierig sein und werden wenig harmonische Stunden gewähren. Die Übereinstimmung, wie sie eine Gleichung bringt – beispielsweise 20 x 20 = 400 – tritt bei Paarbeziehungen in immer seltener werdenden Momenten ein. Die Gefühle sind es, die sich beständig stören, reizen und Anlass zu steigenden Konflikten geben. Ganz besonders aber beeinträchtigen gesundheitliche Bedingungen die Beziehungen und manchmal ist es sogar die letzte Form, dass Menschen nur deshalb miteinander kommunizieren, weil sie sich infolge des Krankenstandes helfen müssen.
Grundsätzlich aber hätte die Beziehungssphäre nicht unbedingt nur eine schlechte Prognose. Die Menschheit tritt mit ihren bisherigen natürlichen Beziehungsdispositionen und ihren darin verborgenen natürlichen Antriebskräften zu Sympathie und Miteinander immer näher an eine Grenze. Die Liebe durch Sympathie schlägt, wie das ja allgemein bekannt ist, auch einmal schnell in Antipathie hinüber und es ist schwierig für die Menschen, ausreichend Gemeinsamkeiten und Ziele zu finden.
Wie kann eine bewusste Beziehungsgestaltung aussehen?
Es ist günstig, wenn man von einem geistigen Leitsatz ausgeht, den ich seit vielen Jahren ausspreche und der sich in der Praxis hundertfach bestätigt hat: Eine Beziehung braucht Seele und dadurch benötigt sie – und das ist jetzt eine rein geistige Sichtweise – die Gunst und Sympathie der Verstorbenen. Wenn man die Seelen im Nachtodlichen suchen lernt, wo und wie sie sich in den kosmisch freien, von aller Erdenschwere gereinigten Raum einfügen, so bemerkt man, dass ihr Licht Verbindungen zu den Hinterbliebenen sucht und je mehr sie gute Werke zu Lebzeiten getätigt haben, umso größer ist ihr Licht. Die Seelen der Verstorbenen wünschen Verbindungen und fördern ein menschliches Miteinander, aber sie wollen dieses aufgrund von Wertigkeit und Qualität. Ein rein gefühlsmäßiges, emotional gebundenes Beziehungsverhältnis ist für sie wie ein Schatten, schwer, schmerzlich, isolierend und unangemessen.
Im Leben ist man sich heute gar nicht mehr bewusst, dass in jeder menschlichen Beziehung immerfort die Seelen der Verstorbenen mit ihren verschiedensten Lichtqualitäten, Freuden und auch Leiden in Verbindung stehen. Aus diesem Grunde wird hier die Beziehungssphäre nicht nur als eine psychologische, taktische Angelegenheit zur Disposition gestellt, sie wird von ihren Möglichkeiten und ihren Notwendigkeiten für die Zukunft gesehen.
Je besser sich Menschen Ziele setzen, die vernünftig sind und wenigstens zu einem gewissen Grad ein Ideal des Seins erfüllen, desto leichter treten die Verstorbenen mit ihrer Lichtsphäre den Hinterbliebenen entgegen. Diese Erfahrung können beispielsweise die Künstler finden, wenn sie sich zu gemeinsamen Arbeiten entschließen, ein Ziel entwerfen und vielleicht sogar dieses Ziel einem größeren Weltganzen entgegenbringen. Ganz unkompliziert treten die einzelnen Individuen, so verschieden sie auch sein mögen, in einen Austausch und lernen sich im Tun und in der Fertigstellung eines Werkes kennen. Sie verbinden sich ohne Zwang, Eiferei und autoritative Befehle.
So wie das Licht den Menschen in Beziehung mit den Objekten der Welt führt, in gleichem Maße führt die Flexibilität, sich für ein Ziel zu entscheiden und unbefangen und dennoch lebendig an diesem zu arbeiten, die Menschen in ein Zueinander. Die ständige lichte Bewegung, Altes nicht gar so sehr in die Mitte zu platzieren, neue Erfahrungen im Tun zu entwickeln und schließlich den Menschen auf diese Weise näherzukommen, lässt Beziehungserfahrungen gehobener Art entstehen.
Beziehungen aber werden von dem Menschen einen außergewöhnlichen Mut abverlangen, denn, wenn man beispielsweise in einer Geistschulung ist, wie sie hier vertreten wird, muss man all seine bisherigen Beziehungsverhältnisse noch einmal neu beleben und in eine Verantwortung führen. Der Unterschied zwischen „eine Beziehung haben“ und verantwortlich für einen anderen Menschen zu sein und so in Beziehung zu treten ist so groß wie die Finsternis zum Licht. Weder ausnützende noch unterwürfige Verhaltensweisen sind in dem Beziehungsmiteinander zu dulden. Der Geistschüler muss beispielsweise seinen Standpunkt so bestimmen, dass er seine Entscheidungen nach bester Verantwortung für den anderen, für sich selbst und für ein größeres Ganzes trifft. Er kann sich nicht einfach nach seinen Gefühlen, wie sie ihm im Moment bequem erscheinen, in eine Beziehung stürzen oder sich von dieser trennen. Obwohl es keine definitiven Vorschriften gibt, die für jeden tauglich wären, so muss dennoch das Beziehungsverhältnis geführt und gestaltet werden und dies nicht nur zu einem Menschen, sondern zu allen in jeweiligem Maße.
Welche Wirkungen entstehen aus dem Mut der gelebten und entwickelten Beziehungsideale?
In östlichen Schulen des Yoga, wenn sie fundiert und streng gestaltet sind, gibt es keine Mann-Frau-Beziehung. Zu sehr trägt das traditionelle Wissen noch die Weisheit in sich, dass die sinnliche Verbindung der Geschlechter nicht eine Liebe auf den ersten Blick ist, sondern eine karmisch schicksalsbeladene in umfassender Weise. Größere Ziele müssten aber in dieser Kultur, wie sie die westliche ist, zur Entfaltung kommen, damit die primären, durch Sexualität entstehenden Anziehungen zurückweichen und die Verantwortlichkeit eine größere wird. Um diese Ziele und wirklichen Bewegungen der Seele zu einem Miteinander zu erreichen, benötigt es Zeit, Durchhalten, Selbstüberwindung und vor allem ein mutiges Bewusstsein. Wenn eine Person nur eine Erwartung an die andere hat, um selbst nicht alleine zu sein, so nährt diese Person beispielsweise die Rückzugshaltung der anderen und wird sich in die Einsamkeit verstoßen fühlen.
Ein gelebtes Ideal führt nicht nur zu einer schönen Beziehung im Miteinander. Es ist der Geist, der den Menschen zur Beziehungsfreude führt, und es sind die Seelen im Nachtodlichen, die ihr Licht hierzu verfügbar machen. Die Aussage von Rudolf Steiner ist sehr zutreffend:
„Im Geiste (oder Inhalt) sich finden, heißt Menschen verbinden.“
Ohne den Geist in die Mitte zu zentrieren und die Ziele, die durch Spiritualität heute notwendigerweise für die ganze Menschheit gegeben sind, zu verfolgen, können die Beziehungen nicht wirklich gedeihen, denn sie werden immer wieder der trennenden Schwere des Karma unterliegen.
Ein Ideal, das der Einzelne kreiert und sowohl im persönlichen engen Zusammensein mit einem Menschen und schließlich auch in weiterer Kollegialität und Freundschaftlichkeit zu anderen entwickelt, lebt und sogar manifestiert, führt zur Auflösung des so weit verbreiteten totalitären Verhaltens oder, wenn man es allgemein ausdrückt, des bestimmenden Fundamentalismus.
Allgemein ist der Fundamentalismus nicht unbedingt immer negativ. Er bedeutet meist, auf die Religion bezogen, ein einseitiges, an die Tradition fixiertes und häufig sogar mit Gewalt versehenes Denken und Handeln. Auch das Wort Integralismus ist in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend, denn es zeigt, wie eine Religion bis in die tiefsten Strukturen des Lebens gelebt werden soll, aber meist eben nicht wirklich in transformierender, sondern in dogmatisch zwanghaft bestimmter Form. Religionen dürfen den Menschen nicht mehr für die Zukunft bestimmen und wenn sie zu sehr vereinnahmen, bewirken sie meistens Zwänge, die den einzelnen Menschen mehr vom Geist entfernen, als ihn dorthin zu führen.
Gute Beziehungsverhältnisse lösen, ja mehr sogar reißen die Wurzeln dieser gebundenen Willensverhältnisse tief aus ihren verwachsenen Strukturen und es wird den allgemeinen zwanghaften Bestimmtheiten der Boden entzogen.
Ein Blick zu den Ländern des Ostens, in denen Frauen, die sich nicht verschleiern, bestraft werden, zeigt, wie wenig Beziehungskultur und Beziehungsform tatsächlich in eine progressive und doch sinnvolle Entwicklung übergegangen sind. Die Formen, wie Männer mit Frauen besitzergreifend umgehen, sind wie eine Art sexuelle Konservierung, und sie führen den Menschen sehr leicht von allem Geistigen hinweg.
Auf der anderen Seite aber gibt es viele sehr freizügige Umgangsformen im Miteinander von Mann und Frau, die nur an eine üble Degeneration des ganzen Beziehungsverhältnisses erinnern. Sie schaffen ebenfalls vielerlei Verwicklungen und Karma. Zuletzt begibt sich der Einzelne innerhalb dieser sehr unverbindlichen Verhältnisse in eine totale Selbstaufgabe und er verliert darin jegliche gesunde Schöpfersubstanz. Meist werden die Denkstrukturen dann sogar zwanghaft freiheitlich, und das ist ein Widerspruch, den man sehr häufig vorfindet.
Die Beziehungsverhältnisse sollen Schönheit hervorbringen und dies im Miteinander, im äußeren Aussehen und in der Art und Weise, wie Ziele und Begegnungen in eine Formung finden. Ohne einen Inhalt kann eine Beziehung nicht bestehen. Beide, sowohl der Mann als auch die Frau, streben nach geistigen Idealen, vergleichen diese miteinander und finden schließlich eine ständige Möglichkeit, durch immer wieder nächste Erfahrungen, die die Meditation und die Studienarbeit eröffnen, zu transformieren. Ein Ideal wie dieses kann dem längst überflüssigen Fundamentalismus in nahöstlichen Ländern den Boden entziehen, sodass die Wurzeln sich nicht mehr fruchtbar eingraben.
Wo findet man dieses Beziehungsideal bisher?
In vielen anthroposophischen Kreisen und sogar auch in alternativen Gruppen entstehen angenehme Beziehungsverhältnisse, die meist sehr entspannt und kommunikativ sind. Die Ausgrenzungstendenz gegenüber Andersdenkenden war in den letzten Jahren weniger, sie wird jedoch im kommenden Jahr wieder größer werden.
Viele Gruppen, die sich mit anthroposophischen Inhalten beschäftigen, werden an ihre Grenze stoßen, da sie die Inhalte, die sie verwirklichen müssten, aufgrund der doch verborgenen karmischen Dispositionen nicht wirklich realisieren können. Die menschlichen Treffpunkte sind aber ein erster Aufbruch für allgemeine Begegnungen. Sie besitzen aber noch nicht die Lichtfülle und die transformierende Kraft, die notwendig wäre, für wirklich bleibende und gute Beziehungsverhältnisse. Die Formung wirklicher Beziehungen geschieht durch Werke mit grenzüberschreitendem Charakter, und diese tragen sich mit Licht hinaus in die Welt. Es ist schließlich der Erzengel, der dann die gelungene und erzeugte Lichtkraft, die durch Inhalte entsteht und die Menschen miteinander versöhnt, zu einem Friedensplan in der Welt fördert.
Das Jahr 2025 wird viele Menschen in belastende Beziehungsverhältnisse führen und dennoch gibt es jene verborgene Kraft, die aus real gelebter Geistschulung entstehen kann, die schließlich wieder die Menschen zu einer größeren Verbundenheit führen kann.
Das im Jahresausblick Teil 1 erwähnte Mantra lokah samastah sukhino bhavantu beschreibt die glückliche Einigung der Seelen im Nachtodlichen. Die gelungenen Aktivitäten von Menschen führen zu Friedfertigkeit. Sie werden jedoch nur durch wenige Menschen realisiert.
Es wird die Auflösung von sehr gebundenen Traditionen, ganz besonders Traditionen, die in der nahöstlichen Zone liegen, nicht durch Demonstrationen oder überredende Gespräche stattfinden, sondern durch gelebte Beziehungsideale von einzelnen, wohl entschiedenen Menschen.
Eine gelebte Weisheit, gleich in welchem Kontext sie steht, kann den ausschweifenden Szenen, die tendenziell vom Westen kommen, ebenfalls die Lust hinwegnehmen.