Die Pflicht der eigenen Urteilsbildung

Da mir dieser Artikel vom Juni 2018 sehr aktuell erscheint, möchte ich ihn unseren Lesern noch einmal empfehlen. Man sieht, wie sich die gegenwärtige Krise damals schon angekündigt hat, bzw. wie diese von Heinz Grill ihrer inneren Bewegungen bereits wahrgenommen wurde.
Barbara Holzer

Artikel von Heinz Grill vom 28.6.2018:

Innere Aufrichtekraft

Innere Aufrichtekraft, gezeichnet von Suraya

Der Mensch unterscheidet sich vom Herdentier des Schafes geradewegs durch jene vorzügliche Eigenschaft des Denkens und durch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Er benötigt neben seiner Lebensposition keinen Hirten, der ihn auf Schritt und Tritt bewacht. Es wäre tatsächlich heute in einer Zeit, in der die Kirche den Menschen nach wie vor in Unmündigkeit zu halten versucht und der Staat den einzelnen bis hinein in den Atemprozess der Mitochondrien kontrolliert, notwendig, sich zur Mündigkeit des Denkens zur Selbstverantwortung und freien friedvollen Lebensgestaltung aufzurichten.

Dennoch aber sehnt sich aus Bequemlichkeit und Verzagtheit der Mensch nach dem Hirten, gemäß einer starken Führerfigur, eines Papstes oder eines Gurus, der ihm seine denkende Verantwortung vermeintlicherweise ersetzen könnte und der über sein geistiges Heil wache. Wo sind heute diese großen rationalen tauglichen Führer? Stehen sie an der Spitze von Deutschland?

Die Entwicklung zu Frieden und Freiheit kann heute nicht mehr von einem Führer oder einer religiösen Leitfigur ausgehen, sie muß im einzelnen Menschen selbst zur Auferstehung emporklettern. Wenn der Hirtenhund das scheinbar verlorene Schäflein zur Herde zurücktreiben möchte, so ist dieses Geschöpf regelrecht verpflichtet, dem bellenden Schäferhund Paroli zu bieten und seine Selbstbestimmung aufzurichten.

Im Grundgesetz Art.2 heißt es wörtlich:

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Solange der Mensch wie ein Schäflein sich vom Hirtenhund am Morgen zur Weide austreiben und am Abend willig einfangen lässt, nimmt er seine Möglichkeit zur freien Entfaltung der Persönlichkeit mit Sicherheit noch nicht im ganzen Umfange wahr. Es ist nicht nur das Recht des Menschen zur Entfaltung seiner besten Möglichkeiten, sondern es wäre sogar seine Pflicht. Unterlässt er aber diese Pflicht einer vorzüglichen Entwicklung der Seele und des Geistes, des freien Denkens und der gediegenen Urteilsbildung, lehnt er sich nicht gegen Lüge, Bevormundung und Intrigen auf, verliert er zunehmend den Sinn für seine eigene Würde und sein Rechtsempfinden und er verfällt in eine bedenkliche Apathie, die ihn zu einem mitwirkenden Zeitgenossen eines irrealen und verlogenen Machtsystems befördert.

Die Verwandlung der Weltsituation kann heute nur durch das Reifwerden des einzelnen Menschen von unten nach oben geschehen, vom einzelnen Individuum zum Staat.

One Reply to “Die Pflicht der eigenen Urteilsbildung”

  1. Die moderne industrialisierte Gesellschaft fordert vom einzelnen Menschen Anpassungsfähigkeit und Opferbereitschaft für das System. Es wird erwartet, dass man sich für den Fortschritt – damit gemeint ist hauptsächlich das Wirtschaftswachstum – einsetzt. Es wird sehr schnell schwierig für einen Arbeitnehmer, wenn er individuelle Werte und Ziele diesen Forderungen entgegensetzt. Für sehr viele Menschen ist seit Jahrzehnten deswegen Anpassung und Unterordnung zum Lebensstil geworden.
    Die zu beobachtende Apathie der Menschen gegen Bevormundung, Lügen, Gewalt ect. ist sicherlich auch eine Auswirkung dieser Lebenshaltung.

    Auf YouTube findet man ein kurzes Video (ca. 8 min.) wo Erich Fromm seine Beobachtungen zum angepaßten Menchen darlegt: „Erich Fromm über den angepaßten Menschen

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